So mancher von uns meint, wir seien am Endpunkt unserer Geschichte
als Banater Bergland-deutsche angelangt. Ich teile diese Meinung nicht,
denn damit würden wir die Bemühungen jener mißachten, die
sich auch heute noch für die Erhaltung deutscher Kultur im Banater
Bergland einsetzen. Solange es dort eine deutsche Minderheit gibt, die
sich zu den Wurzeln bekennt, haben wir nicht das Recht, diesen Menschen
die Hoffnung auf den Erhalt ihrer Identität zu nehmen. Früher
war es schwierig, ja gefährlich, die Banater Heimat zu verlassen.
In Anbetracht all der Probleme, denen sich die Menschen in Rumänien
stellen müssen, fällt heute die Entscheidung zu bleiben schwer.
Jenen, die sie für sich getroffen haben, gebührt unser Respekt.
Wir dürfen ihre Entscheidung nicht in Frage stellen oder gar abwerten,
nur weil wir uns damals anders entschieden haben. Im Gegenteil, sie verdienen
unsere Aufmerksamkeit, unsere Hilfe und unsere Anerkennung. Für uns,
die wir heute in Deutschland oder Österreich oder sonstwo leben, hat
eine neue Phase unserer Existenz begonnen, eine Phase der Standortbestimmung,
des Umdenkens und des Neubeginns. Es kann und darf nicht sein, daß
wir uns hier wohl-gefällig auf dem Erreichten ausruhen und uns nach
einem mehr als 2oojährigen Wirken im Banater Bergland sang- und klanglos
von unserer alten Heimat verabschieden. Damit würden wir unsere eigene
Vergangenheit verleugnen.
Unsere Vergangenheit, die Geschichte der Banater Berglanddeutschen,
verdient es, daß wir uns mit ihr auseinandersetzen. Wir brauchen
sie vor niemandem zu verstecken, brauchen unsere Herkunft nicht zu verbergen.
Unsere Geschichte ähnelt einem Stafettenlauf, den vor mehr als 200
Jahren unsere Ahnen in Bayern und der Steiermark, in Baden und Württemberg,
in Böhmen und Mähren und... und... und... begonnen haben. Sie
sind in eine ungewisse Zukunft gestartet, vor Augen das Ziel: ein besseres
Leben. Die erste Etappe war voller Schwierigkeiten. Aber die meisten Einwanderer
schafften es schließlich, die Stafette an ihre Nachkommen weiterzugeben.
Und auch diese haben, allen Widrigkeiten zum Trotz, ihren Strecken-abschnitt
bewältigt. Und so hat jede Generation zur wirtschaftlichen und kulturellen
Entwicklung des Banater Berg landes beigetragen. Sind wir, die Auswanderer,
die letzten in diesem Stafetten-lauf? Sind wir im Ziel? Sollen wir nun
die Stafette fallenlassen? -Wir sind am Ende und doch wieder am Anfang,
an unseren Wurzeln angekommen. Wir haben hier einen neuen Stafettenlauf
begonnen, denn - wie sagten schon die alten Japaner? - ,,es ist besser
hoffnungsfroh zu reisen als anzukommen". Die Stafette werden wir weitergeben
an die nächste Generation.
In diesem Sinne rufe ich alle Reschitzer; Orawitzer, Steierdorfer;
Ferdinandsberger, einfach alle, die sich dem Banater Bergland verbunden
fühlen, auf, die Stafette weiterzureichen. Diese Stafette ist unsere
Geschichte, sind unsere Erfahrungen und unser Mut, einen Neuanfang zu wagen.
Wenn wir das in die Gesellschaft, in der wir heute leben, einbringen, ohne
Kleinkariertheit, ohne Arroganz, ohne Besserwisserei, dann profitieren
alle davon, wir Neubürger und die Alteingesessenen.
Die Bundesrepublik hat uns die Hand ausgestreckt und Hilfe angeboten,
als wir sie brauchten. Den Kraftakt, sich an dieser Hand hochzuziehen und
uns auf die eigenen Füße zu stellen, den mußten wir selbst
vollbringen. Jetzt ist es an der Zeit, daß wir eine Hand ausstrecken,
um denjenigen zu helfen, die es nötig haben. Es ist aber ebenso wichtig,
daß wir gleichzeitig die andere Hand um die Schulter derjenigen legen,
die uns geholfen haben, uns in ihre, nein, UNSERE Gesellschaft zu integrieren.
Unsere historische Erfahrung lehrt uns, daß wir den Kontakt zu denen,
die vor uns da waren,
suchen und pflegen und zugleich die Öffnung in Richtung gemeinsames
Europa voranbringen müssen. Für den Heimatverband der Banater
Berglanddeutschen gibt es also genug zu tun. Deshalb ist es wichtig, die
Verbandsarbeit weiterzuführen und ihr neue Impulse zu geben.
Jede, jeder von uns kann einen Beitrag dazu leisten, man muß
es nur wollen!
Fortsetzung folgt.
Der Autor, Rudolf Gräf, ist Historiker am Museum des Banater Montangebietes
in Reschitz
Professor Franz Kumher wurde 70.
Die Kumhers, das wissen die meisten Banater Bergländer, die kommen
aus Orawitz. Und sie haben dort oder andernorts traditionelle Berufe ausgeübt.
Auch Prof. Franz Kumher stammt aus Orawitz, aber sein Lebensweg führte
ihn weit weg von dort, und einen traditionellen Beruf hat er auch nicht
ergriffen, denn er wurde Künstler -Maler, Graphiker, Lichtkinetiker
- und Kunstpädagoge.
Bereits wenige Jahre nach der Geburt des Sohnes Franz am 16. Juli 1927
zog die Familie aus Orawitz weg und wurde in Temeswar ansässig. Die
Verbindung zu Orawitz jedoch blieb erhalten. Orawitz blieb der Ort, wohin
man ,,nach Hause" fuhr, wie die Eltern zu sagen pflegten. Dort lebten die
Großeltern dort verbrachte der kleine Franz unbeschwerte Ferientage.
In der Werkstatt der Großväter - der eine war Tischler, der
andere Spengler - hielt er sich als Bub gerne auf, sah fasziniert zu, wie
Hände in geschicktem Umgang mit Werkzeugen aus einem Stück Holz
oder Blech Gegenstände formten. Das seien, meint Kumher heute, Erlebnisse
gewesen, die später seine künstlerische Entwicklung beeinflußt
haben, denn für ihn sei das Handwerkliche an seiner Kunst immer
wichtig gewesen.
Die Begabung des Schülers Franz Kumher hat sein Kunsterzieher
an der ,,Banatia" erkannt und gefördert. Prof. Rotsching erteilte
dem talentierten Jungen Privatunterricht im Malen und ließ ihn auch
schon mal in seinem Atelier an Bildhauerarbeiten mithelfen. Das Kriegsende
machte die Zukunftspläne des angehenden Künstlers vorerst zunichte.
Als Siebzehnjähriger wurde er in die Sowjetunion deportiert. Im Herbst
1946 kam er mit einem Krankentransport in die damalige Ostzone. Daß
viele Orawitzer im Herbst 1944 geflüchtet waren, wußte er, auch
daß sie inzwischen im Lager bei Ein-
beck in Niedersachsen (damals britische Zone) untergekommen waren.
Also kam er im Dezember 1946 dorthin zu seinem Bruder. Ein Fremder - wie
so viele - in einem fremden, vom Krieg zerstörten Land. Aber er war
jung, hatte Verschleppung und Zwangsarbeit überlebt und das Leben
vor sich.
1948 fing Franz Kumher an, sich seinen Traum zu erfüllen. Er begann
ein Kunststudium an der Pädagogischen Hochschule in Alfeld an der
Leine. Hier hatte sich um Prof. Kurt Schwerdtfeger, der vom berühmten
Bauhaus in Weimar kam, ein Kreis von jungen Künstlern gebildet, die
ihre Heimat im Osten verloren hatten, Ost- und Westpreußen, Schlesier,
Kumher war der einzige Banater unter ihnen. 1953 wurde er Schwerdtfegers
Assistent in Alfeld. Gleichzeitig bildete er sich an der Werkkunstschule
in Hannover weiter, danach an der Hochschule für bildende Kunst in
Hamburg. Graphik, Malerei,
Kunsterziehung und Kunstgeschichte beschäftigten ihn während
seiner Studien, die er mit einem Universitätsstudium (Kunstgeschichte,
Deutsche Literatur, Pädagogik, Philosophie) in Hamburg 1961 abschloß.
Die während des Studiums erworbenen Kenntnisse setzte er gleichzeitig
in praktische
Tätigkeit um, denn bereits ab 1950 war er nicht nur Kunststudent,
sondern auch als Kunsterzieher an Volksschulen und Gymnasien tätig.
1963 wurde Franz Kumher Professor für Bildende Kunst an der Pädagogischen
Hochschule Alfeld/Leine, aus der die Hochschule Hildesheim und schließlich
1989 die Universität Hildesheim hervorging. Bis zu seiner Emeritierung
1992 lehrte er dort junge Menschen den Umgang mit Kunst, Malerei, Graphik
und Lichtkinethik waren die Schwerpunkte seiner Unterrichtsarbeit.
Auch als offizieller Ruheständler bleibt Prof. Franz Kumher aktiv.
Er arbeitet schöpferisch als Künstler weiter und engagiert sich
in künstlerischen Projekten wie die Ausstellung ,,Banater Künstler
Heute", die 1995 in Temeswar, Budapest und München gezeigt wurde,
und auch im Kulturverband der Banater Deutschen, dessen stellvertretender
Vorsitzender er ist.
Was braucht man, um Künstler zu werden? Talent - ohne Zweifel.
Aber ebenso wichtig - und das zeigt Prof. Kumhers Lebensweg deutlich -
ist das ständige Arbeiten an sich selbst: lernen, nach neuen Wegen
suchen, experimentieren, seine eigene Formsprache finden und nicht ausruhen
auf dem
Erreichten. Begegnungen mit bedeutenden Menschen hat Franz Kumher immer
wieder gesucht. Studienfahrten waren ihm wichtig. Beide haben seinen Werdegang
als Künstler beeinflußt, geprägt. Er besuchte Malkurse
in Salzburg bei dem berühmten Oskar Kokoschka, arbeitete in Worpswede
mit dem damals besten Kupferdrucker Herbert Jaeckel, sprach mit dem bekannten
Philosophen Ernst Bloch, dessen Satz ,,Die Zukunft gehört der Technik."
ihm bestätigte, was ihn als Künstler beschäftigte. Er reist
viel, immer wieder nach Österreich und Italien, malt Häuser in
Amsterdam und Venedig und auch in Mörbisch am Neusiedler See, wo manches
an die ferne Heimat erinnert und der Blick schon mal sehnsuchtsvoll nach
Osten schweifte... Italienisch klingt dem in Rumänien Aufgewachsenen
vertraut, die italienische Landschaft und die Zeugen antiker Kultur inspirieren
den Künstler. Kumhers Arbeiten, in vielerlei Techniken gefertigt,
oft in Mischtechnik, waren in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen
zu sehen, in vielen Orten Deutschlands, im europäischen Ausland, in
Amerika und nach der Wende auch in Rumänien. Sie wurden mit Preisen
und Anerkennung bedacht.
In vielen Zeitungsartikeln, in Ausstellungskatalogen sowie in zwei
schönen Kunstbänden wird der Künstler und sein Werk einem
interessierten Publikum vorgestellt. Kunsttheoretiker und Kunstkritiker
haben sich mit Kumhers Werk befaßt, es eingehend interpretiert. Wie
aber kann sich ein Laie Kumhers Arbeiten nähern, sie für sich
entdecken und erschließen? Jemand der sich für Kunst gelegentlich
interessiert, aber kein Kunstkenner ist, jemand wie ich also, wie wohl
auch die meisten unserer Leser. Ich kann darauf nur eine sehr persönliche
Antwort geben. Prof. Kumher lernte ich während einer Tagung des Kulturverbandes
der Banater Deutschen kennen. Ich wußte, daß er Mitglied unseres
Heimatverbandes ist und wollte über ihn für unsere Verbandszeitung
schreiben. Um mich kundig zu machen, schenkte er mir die Monographie ,,Franz
Kumher. Malerei, Graphik - Lichtkinetik", erschienen im Olms Verlag 1992
anläßlich seiner Emeritierung. Interessiert blätterte ich
zu Hause in dem Buch. Viele der Bilder sprachen mich an, ich ,,verstand"
sie nicht, aber sie ,,gefielen" mir. Als ich
,,Maschine mit Schwanz" sah, lachte ich unwillkürlich laut auf.
Ein lustiges Bild. Auf den ersten Blick
erinnerte es mich an ein Kinderspielzeug, an eines jener Holztiere,
die man an einen Bindfaden hinter sich herziehen kann. Und das soll eine
Maschine sein? Aber war da nicht auch eine gewisse Ähnlichkeit mit
den kleinen Werkslokomotiven, die in meiner Kindheit, eine lange Rauchfahne
hinter sich herziehend, keuchend und mit viel Getöse die Kübelwagen
zum Schlackensturz hinaufzogen? Das Bild wurde mir sympathisch, wenn man
so etwas von einem Bild sagen kann. Ich sah es mir genauer an, erkannte
den Amboß, ein solider Sockel, auf dem die seltsame ,,Maschine" steht.
Oder ist es ein Rad? Eine Keilriemenscheibe? Ich glaube, was es genau ist,
ist nicht so wichtig, wichtiger ist die Möglichkeit der Assoziationen.
Ich betrachtete die minutiös gezeichneten geometrischen Formen, die
Kumher hier zusammengefügt hat.
Ich kann mir vorstellen, wieviel Arbeit in dieser Zeichnung steckt.
Und plötzlich war da mehr als nur flüchtiges Interesse. Andere
Bilder erinnern an Fördertürme, an Dampfkessel, an jene Maschinen,
die das Industriezeitalter eingeleitet und großgemacht haben. Technik
war für Kumher wie für viele seiner
Generation -auch für mich - ,,eine konkrete Utopie, die zwingend
eine neue Lebensqualität einforderte, jenseits der Zwänge der
materiellen Produktion Freiräume für sinnvolles ästhetisches
und gesellschaftliches Handeln schaffen sollte", schreibt der renommierte
Kunsthistoriker Manfred Boetzkes in der Monographie. ,,Technischer Fortschritt
ist nur als menschlicher Fortschritt vorstellbar. Die Maschine ist der
Freund des Menschen - oder nichts." Haben nicht auch wir daran geglaubt?
Und an noch etwas dachte ich beim Betrachten der konstruktivistischen
Bilder aus den 60er Jahren. Haben technische Erfindungen nicht auch etwas
mit Spielen zu tun? Ist Tüfteln, Experimentieren nicht auch eine Art
Spiel? Kumhers Bilder vermitteln etwas von der kindlichen Freude an diesem
Spiel. Durch die Klarheit und Strenge der geometrischen Formen erinnern
sie aber auch daran, daß es ein Spiel mit strengen Regeln ist, was
die Freude am Spiel keineswegs mindert, im Gegenteil, es macht das Spiel
geradezu faszinierend, denn gewinnen kann nur, wer die den Dingen innewohnende
Ordnung erkennt. Keine Maschine funktioniert, wenn die physikalischen Gesetze
nicht beachtet werden. Arbeiten aus den späten 80er und den 90er Jahren,
in denen Kumher mit geometrischen Formen experimentiert, lassen zunehmend
erkennen, daß Zweifel aufgekommen sind an unserer euphorischen Technikgläubigkeit.
Viele zeigen einen Komplex von Objekten, auf- unter-, nebeneinander angeordnet,
eine verwirrende Vielfalt. Manche der Objekte erinnern an Fernseher und
Radio, deren kreisförmige Lautsprecher gleich dunklen, starren Riesen-augen
bedrohlich wirken. Es sind Sinnbilder unserer hochtechnisierten Welt, die
für den einzelnen nicht mehr durchschaubar ist und in der die rasante
Entwicklung der elektronischen Kommunikationsmittel eine immer größere
Rolle spielt.
Er wolle in seinen Arbeiten ,,die Komplexität der Welt in einfachen
allegorischen Formen" darstellen, sagte Prof. Kumher kürzlich in einem
Gespräch. Dafür ist das Bild ,,ieri, oggi, domani" (gestern,
heute, morgen) von 1986 ein anschauliches Beispiel: links das Bruchstück
einer antiken Säule - Symbol der Wurzeln unserer abendländischen
Kultur; in der Mitte, die beiden anderen Objekte überragend, eine
jener wuchtigen geometrischen Figuren, die bei Kumher Symbol des technischen
Zeitalters sind; und rechts ein Gefäß, in dem eine kleine grüne
Pflanze sprießt - das Symbol der Hoffnung.
Unvergeßlich bleibt mir ein Bild aus der Ausstellung in Freiburg
im Rahmen der diesjährigen Tagung der Adam-Müller-Guttenbrunn
Gesellschaft. Es ist eines der in jüngster Zeit entstandenen Gemälde,
dem Kumher den Titel ,,Brot und Wein" gegeben hat. Der Titel und die Schlichtheit
der Darstellung verleihen dem Bild etwas Ergreifendes, etwas geradezu Religiöses.
Auf dem Tisch steht ein brauner Tonkrug (Braun- und Gelbtöne in allen
Schattierungen bis hin zu rot und schwarz sind Kumhers Lieblingsfarben.),
daneben liegt ein Brotlaib. Der Tonkrug hat die Form, wie wir sie aus dem
Banat kennen. ,,Eine pluta", sagt Prof. Kumher. Und mich berührt
es seltsam, daß der weitgereiste Mann, der Künstler, der an
vielen Orten der Welt gemalt hat und dessen Werk vielerorts bekannter ist
als in seinem Geburtsort, mit ,,Brot und Wein" zurückgekehrt ist zu
seinen Wurzeln.
Am 16. Juli 1997 hat für Prof. Franz Kumher eine neues Lebensjahrzehnt begonnen. Möge auch dieses für ihn ein schöpferisches, ein erfülltes Jahrzehnt werden!
Bruno Windhager - der Naturfreund, der Lehrer,
der Mensch
Professor Bruno Windhager war eine herausragende Persönlichkeit
im Banater Bergland der Zwischen- kriegszeit. Geboren am 15. Juni 1892
in Franzdorf, war sein Lebensweg durch die beiden Weltkriege vorgezeichnet.
Das Studium am Polytechnikum in Kecskemet/Ungarn mußte er kurz vor
dem Staatsexamen abbrechen, um in der k.u.k. Armee Militärdienst zu
leisten. Das unglückliche Kriegsende, die Nachkriegskrisen und die
neuen Staatsgrenzen machten es ihm unmöglich, das Abschlußexamen
nachzuholen. Ab 1920 verdiente er seinen Lebensunterhalt im Schuldienst.
Gut zwanzig Jahre war er in Reschitz als Mittelschullehrer tätig.
Der Offizier der Reserve wurde während des Zweiten Weltkrieges wiederholt
zum Dienst in der rumänischen Armee mobilisiert. Sein Freund Alexander
Tietz weiß, daß er von Militärdienst und Krieg nicht begeistert
war Er liebte seine Familie und arbeitete mit Hingabe in seinem Beruf,
von beiden trennte ihn der Krieg. Als Hauptmann bei den Pionieren wurde
er im November 1943 zusammen mit seinem Kutscher während einer Fahrt
im Hinterland von Partisanen ermordet und fern der Heimat in Balta/Bessarabien
beigesetzt.
Die Liebe zu Natur und Heimat war dem Sohn eines Forstwarts als väterliches
Erbe in die Wiege gelegt worden, hatte sich doch jener als Verfasser heimatkundlicher
und familiengeschichtlicher Studien über Reschitz und Franzdorf verdient
gemacht. Der Sohn war wie der Vater tief in seiner Banater Bergland- heimat
verwurzelt. Er machte es sich zur Lebensaufgabe, seinen Schülern die
heimatliche Landschaft zu erschließen. Bruno Windhager leistete diesbezüglich
wahre Pionierarbeit. Zusammen mit seinem Freund und Lehrerkollegen Alexander
Tietz erweckte und förderte er bei der Jugend das Interesse und die
Freude an Natur und Heimat. Geprägt waren beide diesbezüglich
auch durch ihre Besuche in
Österreich in den zwanziger und dreißiger Jahren, wo sie
gemeinsam den Dachstein, den Tauernkogel und den Großglockner bestiegen
sowie Salzach- und Zillertal durchwanderten. Mit besonderem Interesse besuchte
Windhager das Land seiner Ahnen, die Steiermark, stammten doch sowohl die
Vorfahren des Vaters wie auch die der Mutter aus diesem Bundesland Österreich.
Windhager und Tietz hielten Lichtbildvorträge, die bei der Jugend
großen Anklang fanden. Durch eigenes Beispiel bewiesen sie, daß
Wanderungen nicht nur im Sommer, sondern zu allen Jahreszeiten möglich
und schön sind. Die beiden brachten erstmals Skier ins Banater Bergland
und regten die Herstellung derselben durch Heimwerker in Wolfsberg an.
Eigenhändig bauten sie mit Hilfe von Gesinnungs- freunden die erste
Schutzhütte auf dem Semenik, welche auch im Winter zu benützen
war. Viele Freunde unter den Bewohnern von Franzdorf und Wolfsberg unterstützten
diese Aktivitäten.
Professor Windhager war ein Mann mit mannigfachen Kenntnissen, Fähigkeiten,
Gaben. Durch seine Bildung, seine Art, sein ganzes Wesen war er geradezu
prädestiniert, ein idealer Lehrer und Jugenderzieher zu sein. ,, Er
war von derselben Abstammung wie seine Schüler, er sprach dieselbe
Mundart und war selber eine vorbildliche, glückliche Verkörperung
ihrer Art", schreibt Alexander Tietz. Er war ein hervorragender Wissensvermittler,
er konnte jeden neuen Bildungsstoff organisch in
den vorhandenen, ererbten heimatlichen Bildungskreis einfügen,
Ring an Ring schließen und den Wissenkreis der Schüler erweitern
und vertiefen. Als Lehrer der Mathematik erfand er verblüffend anschauliche
Modelle, um z.B. die Raumgeometrie seinen Schülern nahezubringen.
Am auffallendsten war seine Begabung für fremde Sprachen. Er sprach
mit Rumänen wie ein Rumäne, mit Ungarn wie ein Ungar, mit Franzosen
wie ein Franzose. Er besaß englische und russische Sprachkenntnisse.
Dabei wußte niemand, wo und wann und wie er diese Sprachen erlernt
hatte. Man hatte den Eindruck, sie flogen ihm wie von selbst zu. Er war
nicht nur ein Sprachgenie, er war auch ein geschickter Handwerker Das Tischlerhandwerk
beherrschte er wie einer von der Zunft, stellte für die Schule und
für sein Haus Tische, Bänke, Regale her.
Er war ein Mann voll Witz und Geist. Jene unter uns, die ihn gekannt
haben, erinnern sich vielleicht noch an das eine oder andere seiner treffenden
witzigen Worte. Ja, er hatte geradezu das Talent eines humoristischen Schriftstellers.
Seine humoristischen Skizzen, die in der Lokalpresse jener Zeit erschienen
sind, beweisen dies. Hätte er den Ehrgeiz dazu gehabt, er hätte
ohne weiteres ein zweiter Wilhelm Busch werden können, sagte Alexander
Tietz gelegentlich in Erinnerung an den Freund. Und wer ihn gehört
hat, wenn er Kindern Märchen erzählte, dem bleibt dies unvergeßlich.
Bedenkt man, daß Bruno Windhager auch ein tüchtiger Sportsmann
war, so drängt sich einem unwillkürlich der Vergleich mit dem
,,homo universales" der italienischen Renaissance auf.
Professor Windhager hat seine Vorzüge nie in das helle Licht der
Bewunderung gerückt. Er war zeit seines Lebens ein bescheidener Mann,
umgänglich,
ungezwungen, natürlich. Sein Wesen entsprach ganz den Worten Senecas:
Plus esse quam viden! (Mehr sein als scheinen!)
,,Viele unter uns und auch viele unter denen, die ihn kannten, haben
vielleicht nicht das volle Bewußtsein davon, was in diesem Manne
unsere Schule, unser Ort, unser gesamtes heimatliches Geistesleben verloren
haben", sagte Alexander Tietz in einem Nachruf auf den Freund während
einer Schulfeier im Katholischen Heim in Reschitz. Im Bewußtsein
der Gemeinschaft, der Bruno Windhager mit allen Fasern seines Wesens verbunden
war, mag die Erinnerung an ihn heute verblaßt sein, aber die Wander-
und Skisporttradition, die er einst entscheidend gefördert und geprägt
hat, haben viele von
uns fortgeführt, mit der gleichen Freude und Liebe zu Natur und
Heimat.
Schon in den 70er Jahren wollte Edmund Höfer in Bukarest eine Hermann-Heel-Ausstellung
organisieren. Der Lehrling, nun selbst Meister, wollte seinem Meister ein
Ehrenmal setzen. Aus verschiedensten Gründen ist es nicht dazu gekommen.
Ich selbst wurde auf das unaufgearbeitete urreschitzaerische Erbe durch
den Beitrag im ,,Banater Berglanddeutschen" aufmerksam, in welchem an Heel
Moni erinnert wurde. Und der Gedanke, in der Stadt seines Wirkens eine
Ausstellung zu
organisieren, lag nahe. Da solcherart Unterfangen von Finanzierungen
abhängen und auch nicht im Alleingang zu machen sind, sprach ich Rudolf
Gräf vom Museum des Banater Montangebietes darauf an. Wir begannen
herumzuhören und zu sondieren, wer bereit wäre, uns dabei zu
unterstützen.
Wie schon oft fanden wir auch diesmal bei der Rumänienvertreterin
der Bonner Friedrich-Ebert- Stiftung, Frau Elke Sabiel, ein offenes Ohr
für unser Projekt. Und im Reschitzaer Maschinenbau-werk (UCMR) bei
Direktor Dan Obadau das Entgegenkommen, ohne welches, wie es sich zeigen
sollte, jede Finanzierung kaum etwas genutzt hätte: er stellte uns
das Werkslabor und einen Fotografen zur Verfügung.
Der wohl schwierigste Teil unseres Unterfangens war die Auswahl des
(noch!) vorhandenen Archivmaterials. Ein Teil lagert im Museum des Montangebietes,
ein Teil an Heels altem Arbeitsplatz, im Fotolabor des Maschinenbauwerks.
Leider mußten wir an beiden Stellen konstatieren, daß unsachgemäße
Lagerung und Manipulation vor allem den Fotoplatten sehr viel geschadet
haben, daß manche Negative zu zerkratzt oder chemisch zersetzt waren
und daß Unmengen Leica-Filme nicht mehr zu finden sind. Eine sachgerechte
Restauration und anschließend eine adäquate Lagerung wären
das Mindeste, was in memoriam Heel Moni getan werden muß! - Hinzu
kommt, daß es sich in Rumänien als unmöglich erwies, mattes
(also leicht retouchierbares) Schwarz-Weiß-Papier aufzutreiben: man
produziert keines mehr! Auch mußten wir, je mehr wir uns in das Thema
vertieften, feststellen, daß viel von dem, was als für Heel
charakteristisch gilt, nicht mehr auffindbar ist. So fehlt das Portrait,
das von Edmund Höfer als das beste bezeichnet wird, was Heel gemacht
hat. Vielleicht liegt es am Künstler, der zu wenig Wert auf einmal
Geleistetes gelegt haben soll, wie man uns mehrfach sagte, vielleicht an
wenig liebevollen Nachfolgern im Labor, wo Heel sein Fotomaterial gelagert
hat. Heel hat nie zu Hause gearbeitet, immer nur im Werkslabor. - Aus all
diesen Gründen konnten viele Heel-Fotos, die manchem im Gedächtnis
geblieben sind in der Ausstellung nicht gezeigt werden. Nach dem Sichten
von etwa 700 - 800 noch existierenden Negativen - viele statische Fotos
von Werkstücken, Routinearbeit eines Werkfotografen, also für
eine Ausstellung wenig interessant - machte uns der Werkfotograf Franz
Csonka im Labor, das noch von Heel eingerichtet worden war, die Probefotos.
Er war ein Jahr lang Lehrling bei Monibacsi, kannte also den Meister und
konnte uns viele Anekdoten über ihn und von ihm zum Besten geben.
Von den etwa 150 Probefotos wurden in der Ausstellung letztlich rund 40
gezeigt. Darunter zwei Originale, von Hermann Heel gearbeitete Fotos.
Sicher ist das Ergebnis ein verbesserbares, aber es ist 33 Jahre nach
seinem Tod die erste Heel- Ausstellung überhaupt.
Zudem ist es gelungen, einen wirklich ansprechenden Ausstellungskatalog
in der Concordia-Druckerei der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien
in Bukarest zu drucken; der mittels elektronischer Bearbeitung die Qualität
der Fotos ins rechte Licht rückt. Für unseren Wunsch, ebendort
ein Heel-Album herauszubringen, fehlt es (noch?) an Geld.
Dan Fonosch, der Chefredakteur der Fachzeitschrift ,,Fotografia &
Video" und einziges rumänisches Mitglied der Europäischen Gesellschaft
für Fotografiegeschichte, der die Vernissage am 23. Mai 1997 vornahm,
würdigte denn auch die Ausstellung als eine restitutio an Reschitza
und an die Kunst der Fotografie, die längst fällig war.
Die Anwesenheit einer großen Zahl von Honoratioren - Parlamentsmitglieder,
verantwortliche Politiker des Banater Berglandes, der Reschitzaer Bürgermeister
Ion Popa, der Wert darauf legte, Heel persönlich zu würdigen,
Hochschullehrer aus Klausenburg, Bukarest, Temeswar - wäre vermutlich
nicht nach dem Geschmack des Nietzscheanhängers, Naturliebhabers und
feinfühligen Musikkenners Hermann Heel gewesen, aber sie waren ein
beredtes Zeichen der Anerkennung für einen der so bescheidenen, aber
markanten Reschitzaern, dem wir seinen Platz unter den Persönlichkeiten
der Stadt zurückgeben wollten.
Die Ausstellung wird im Herbst im Bukarester deutschen ,,Friedrich-Schiller-Kulturhaus" zu sehen sein.
Meine Verurteilung im Jahre 1974
Zusätzliche Erklärungen:
Erinnerungen an die Haftzeit.
In der Zeitspanne 1966-84 wurden in Rumänien politische Häftlinge
fast ausnahmslos während ihrer Haftzeit, nach der Verurteilung, im
Gefängnis von Aiud untergebracht.
Auszug aus einem Faltblatt von Amnesty
International, die von mir übermittelten Angaben sind in den
Text eingeflossen (August 1985):
Vom 18.10.1974 bis 03.04.1976 war ich im teilweise unterirdisch angelegten
Untersuchungsgefängnis der Securitate auf der Calea Rahovei inhaftiert.
Von Mai 1975 bis September 1975 dauerten die Prozeßverhandlungen
beim Militärgerichtshof Bukarest. Von Prozeßbeginn an stand
das Urteil fest: Todesstrafe. Die Anklage lautete: Untergrabung der Volkswirtschaft
(Art. 165 des Strafgesetzbuches - capitol contra securitätii statului).
Nach Protesten aus dem Ausland (hauptsächlich von Amnesty International)
wurde das Urteil am 28.11.1975 mit 18 Jahren Haftstrafe festgelegt und
das Strafmaß mit allen damit verbundenen Zulagen am 01.04.1976 vom
Obersten Militärgerichtshof bestätigt. Am 03.04.1976 wurde ich
über die Zwischenstation Sammelgefängnis in der Calea Alexandriei
nach Aiud ins Gefängnis Zarka für politische Häftlinge gebracht.
Am 21.07.1977 wurde ich in die Freiheit entlassen, nach Begnadigung durch
Präsidialerlaß (dank den unermüdlichen Bemühungen
meiner Familie, der Freunde im Ausland und hauptsächlich der vier
Gruppen von Amnesty International).
Am 25.05.1984 durften meine Frau und ich nach sechs Jahren intensiver
Bemühungen in die Bundesrepublik ausreisen, nachdem schon am 03.03.1982
meinen beiden Söhnen die Flucht über die Donau und nach Deutschland
gelungen war
Heutiger Wohnort: 81373 München 70, Jägerwirtstraße
9, Telefon 089 / 7 25 94 09.
Die wichtigsten Beweggründe und Umstände, die zu meiner Verhaftung
und Verurteilung führten, waren folgende: Der großaufgezogene
Sicherheitsapparat in Rumänien, sowie das Bestehen von vier territorialen
Militärgerichtshöfen mit einem Obersten Militärgerichtshof
mußten ihre Existenzberechtigung gegenüber der Partei- und Landesführung
verdienen und zeitweise mit landesfeindlichen Elementen und Scheinprozessen
eine Aktivität vorweisen. Die kaum verhehlten nationalistischen Tendenzen
führten zu einer stetigen Entfernung der Nichtrumänen aus leitenden
Positionen in Industrie und Wirtschaft. Es war die Periode des ersten
großen ,,Valutahungers" in Rumänien. Dabei wollten die Organe
des Innenministeriums durch mehrere ähnliche Prozesse beweisen, daß
auch sie auf ihre Art dem Lande Devisen bringen können. Es lief alles
immer über die Aufopferung des eigenen Fachmannes zwecks Erpressung
der ausländischen Firma. Ich arbeitete seit 1951 als Hochofeningenieur
beim Reschitzaer Eisenhüttenwerk und habe mich vom Schichtingenieur
bis zum Hochofenabteilungsleiter (1963) und Chefingenieur im Jahre 1968
emporgearbeitet.
In der Zeitspanne 1968-74 bekleidete ich den Posten des Chefingenieurs
und Produktionsdirektors und vertrat das Werk in Verhandlungen und Gesprächen
mit ausländischen Vertretern. Daß es dabei auch zu menschlichen
Kontakten kam, z.B. mit dem Vertreter der österreichisch-amerikanischen
Firma Radex, Dipl. Ing. Oskar Mauschitz, war fast unvermeidlich. Daß
ich dem Sicherheitsdienst keine Berichte über meine persönlichen
Gespräche mit den Auslandsvertretern übermittelte, wurde mir
übelgenommen.
Während der Untersuchungshaft wurde mir dann bekannt, daß
alle meine Gespräche im Dienst und in der Wohnung rund um die Uhr
verfolgt und aufgezeichnet wurden. Stolz zeigten mir die Securitate- Untersuchungsrichter
zwei Stapel (Höhe etwa 60 cm) mit registrierten Cassetten. So wurden
meine Gespräche und Meinungen, in denen ich den unübertreffbaren
Personenkult und die göttliche Verherrlichung des Landespräsidenten
Nicolae Ceausescu und die Mißstände und Fehler der Partei und
des Regimes kritisierte, alle erfaßt, aber beim Gerichtsverfahren
nur angedeutet und vermieden, alles klar zur Sprache zu bringen.
Wenn ich kein Deutscher gewesen wäre, hätte es keine Verhaftung
und keinen Prozeß gegeben! Wie aus den Untersuchungsakten hervorging,
hatte Herr 0. Mauschitz, der seit dem Jahre 1961 Rumänien bereiste
und feuerfeste Steine (Crommagnesitsteine) an Industriewerke lieferte,
mindestens 15-20 ähnliche Kontakte und Bekanntschaften mit rumänischen
Fachleuten aus Werken und dem Ministerium für Metallurgie, die aber
Rumänen waren und darum zu keinem Gerichtsverfahren herangezogen wurden.
Bei meiner Verhaftung, als ich Herrn 0. Mauschitz zu einem Abendessen
in meine Wohnung eingeladen hatte, hat eine achtköpfige Spezialmannschaft
des Sicherheitsdienstes von 22.00 Uhr abends bis 7.00 Uhr morgens meine
ganze Wohnung durchsucht und trotzdem, wie aus dem Verhaftungsprotokoll
hervorgeht, kein Beweismaterial gefunden.
Die österreichische Botschaft in Bukarest, die Firmenleitung und
Herr Mauschitz, wenig vertraut mit den Praktiken der Sicherheits-Mafia,
haben den Kapitalfehler begangen, für die Freilassung des österreichischen
Repräsentanten eine Summe von 250.000 Dollar zu hinterlegen (der Handel
begann bei der Summe von 1 Million Dollar). Es ist zu bemerken, daß
die Radex A.G. auch in der folgenden Zeit jährlich für 8-10 Millionen
Dollar feuerfeste Steine an die rumänischen Hüttenwerke lieferte
und, so schätze ich, die Kautionskosten schnellstens wieder einbrachte.
Um die 250.000 Dollar im Lande zu behalten und zu rechtfertigen, wurde
eine von Nichtexperten (vom Sicherheitsdienst nominierte Kommission) erstellte
Expertise aufgestellt, aufgrund derer mir der Prozeß gemacht wurde.
Die verschiedenen Etappen der Gerichtsverhandlungen fanden alle vor dem
Bukarester Militärgericht und dem Obersten Militärgerichtshof
statt. In den Saal wurden nur Beamte des Sicherheitsdienstes und die allernächsten
Familienmitglieder zugelassen, damit niemals etwas von den mir angelasteten,
auch theoretisch unmöglichen Anklagen, an die Öffentlichkeit
dringen sollte.
Mit meinen Anwälten (von meiner Frau verpflichtet) konnte ich
das erste Gespräch für meine Verteidigung erst in der Phase der
ersten Gerichtsverhandlung führen. Hier konnte ich ihnen zum ersten
Mal demonstrieren, daß alle Anschuldigungen theoretische Konstruktionen
waren und sie veranlassen, nicht für mildernde Umstände, sondern
für Freilassung zu plädieren.
Entgegen allen Rechtsbegriffen hatte ich ein und denselben Staatsanwalt
in der Untersuchungshaft, er war Ankläger beim Militärgericht
und auch bei der Berufung beim Obersten Militärgerichtshof. Wir und
auch unsere Anwälte konnten niemals eine schriftliche Rechtfertigung
des Urteils bekommen, da es als geheime Staatssache gehandhabt wurde. Meine
Verhaftung und Verurteilung wurde in keiner Sitzung im Rahmen des Werkes,
in keiner Zeitungsnotiz, keiner Rundfunk- oder TV-Sendung in Rumänien
jemals bekannt. Mein Fall erschien nur in Zeitungsberichten in Österreich
und Frankreich und in wiederholten Sendungen bei Radio ,,Freies Europa".
Nachtrag:
Die Beweggründe, durch die es neben den offiziellen Beziehungen
zu persönlichen Kontakten mit Dipl.lng. Oskar Mauschitz kam, waren
folgende: da ich infolge meiner Stellung und Sprachkenntnisse in den meisten
Fällen die Verhandlungen mit den ausländischen Gesprächspartnern
führte, ersuchten mich im Herbst 1971 Generaldirektor Ing. Savu Constantin
und der damalige Parteisekretär des Eisenhüttenwerkes Reschitza,
Angheloiu, die Möglichkeit auszuloten, ob wir mit Hilfe eines unserer
ausländischen Geschäftspartner eine humanitäre Hilfe für
die l3jährige Tochter eines unserer Meister von der Erzsinteranlage
erreichen könnten. Das Kind wurde in der Schule von einer Mitschülerin
beim Spielen an einem Auge schwer verletzt. Die notwendige Operation
zur Rettung des Augenlichts war nach Untersuchungen der rumänischen
Ärzte nur im Ausland möglich. Da solch ein Anliegen nicht im
Rahmen des offiziellen Protokolls stattfinden konnte, kam es in den Jahren
1972-1974 zu drei oder vier Begegnungen bei mir zu Hause. Auf diese Bitte
hat die Firma Radex, die uns schon über 15 Jahre Spezialgewölbesteine
für die Stahlöfen lieferte, positiv reagiert und die Operation
auf ihre Kosten (2.000 Dollar) im Herbst 1973 in Wien ermöglicht.
Da ich mich verständlicherweise bei Herrn
Mauschitz verpflichtet fühlte, lud ich ihn auch am 13.10.1974
in meine Wohnung zum Abendessen ein. Da der Sicherheitsdienst schon über
zwei Jahre alle meine Bewegungen beobachtete und verfolgte, verhaftete
er uns an diesem Abend, überzeugt davon, uns irgendeiner Ungesetzmäßigkeit
überführen zu können.
Von 23.00-7.00 Uhr haben die acht Personen der Spezialeinheit alles
in der Wohnung durchwühlt und, wie aus dem Verhaftungsprotokoll ersichtlich,
nichts Belastendes finden können. Obiges Motiv meiner persönlichen
Beziehung zu Herrn Mauschitz wurde bei sämtlichen Verhören und
Gerichts- verhandlungen absichtlich nie zur Kenntnis genommen, weil dadurch
die Hauptanklagepunkt entkräftet gewesen wäre.
Folgende Personen haben in meinem Fall eine Rolle gespielt. Der Securitate-Chef
des Kreises Karasch-Severin zur Zeit meiner Verhaftung war General Lintu
Dan. Die Spezialabteilung (Grupul special de ancheta al securitatii Bucuresti)
wurde von einem Obersten (oder General) Vasile geleitet (dem es viel Vergnügen
bereitete, mich immer mit der Todesstrafe zu bedrohen). Soweit ich erfahren
konnte, war er nach dem Sturz Ceausescus verhaftet worden. Die Untersuchungsrichter
und die Securitateoffiziere, die mich 18 Monate lang verhört haben:
Oberst Bistran, Major Gordan, Major Videcan. Zwischendurch wurde ich auch
mal vier Tage lang vom stellvertretenden Securitate- Innenminister Doicaru
verhört. Der Militärstaatsanwalt in allen Instanzen war Oberst
Stefanescu. Der Vorsitzende des Militärgerichtshof Bukarest war Oberst
Sitaru. Der Leiter des Gefängnisses von Aiud in den Jahren 1975-1977
war ein Oberst Oarga und für die Überwachung der politischen
Häftlinge waren Major Lazar und Leutnant Biro verantwortlich.
Nach dem neuen rumänischen Strafgesetz gelten alle politischen
oppositionellen Handlungen als Verstoß gegen die Staatssicherheit
(contra securitatii statului). So wird von offiziellen Stellen immer behauptet,
es gibt in Rumänien keine politischen Häftlinge, sondern nur
Personen, die sich gegen die Staatssicherheit schuldig gemacht haben. Die
in dieser Zeitspanne wegen versuchter Grenzüberschreitungen verurteilten
Personen waren nicht als politische Häftlinge eingestuft und wurden
hauptsächlich im Gefängnis von Gherla, Temeschburg Timisoara)
oder Craiova, zusammen mit den aus verschiedensten nichtpolitischen Gründen
verurteilten Personen, in Haft gehalten.
Das Gefängnis von Aiud ist ein alter Gebäudekomplex mit mehreren
Innenhöfen, umgeben von hohen Mauern, Sicherheitsanlagen und Wachttürmen.
Aus dieser Anstalt ist in den letzten 20 Jahren kein gelungener Fluchtversuch
bekannt. Die Zahl der Inhaftierten schwankte zwischen 800-2000, davon waren
30-120 politische Häftlinge. In den verschiedenen Gebäuden und
Höfen waren Werkstätten untergebracht, in denen der Großteil
der Häftlinge arbeitete. Das ganze war so organisiert, daß vom
Ertrag dieser Arbeiten die ganzen Kosten der Verpflegung der Häftlinge,
die Löhne des Wachpersonals, der Gefängnisleitung und praktisch
die gesamte Regie des Gefängnisses gedeckt wurden. Die politischen
Häftlinge waren in einem dritten Innenhof dieser Anstalt, einem langgestreckten
alten Gebäude, genannt ,,Zarka", untergebracht. Dieser Bau (wahrscheinlich
aus den Jahren 1820-40) besteht aus Keller, Erdgeschoß und Obergeschoß.
Im Parterre und im 1. OG ist je ein durchlaufender Korridor, wo etwa 20-22
Zellen an einer Seite aneinandergereiht sind. Die fast meterdicken Wände
sind feucht. Das Fenster, in jeder Zelle über mannshoch angebracht,
ist mit zwei Reihen dicker Gitterstäbe und mit einem Drahtgeflecht
versehen. Bis Anfang der 70er Jahre war das spärliche Tageslicht,
das hereindringen konnte, durch Holzläden abgedunkelt. Nach der Besichtigung
des Gefängnisses durch
den damaligen Innenminister Onescu, wurden auf Beschwerden der Insassen
die Holzläden entfernt. In den Zellen, deren geschätzte Maße
etwa 2.80 m Breite, 3.60 m Länge und 2.30 m Höhe aufwiesen, befanden
sich als Ausstattung 4-6 Eisenbetten, doppelt oder dreifach übereinandergestapelt,
ein kleiner Holztisch, eine kurze Holzbank, ein kleiner Eisenofen, zwei
Holzbottiche ( 25 Liter Fassungsvermögen) mit Holzdeckel. Der eine
war für die Aufbewahrung von Trinkwasser bestimmt, der andere diente
als Toilette. Zweimal täglich (morgens um 6 Uhr und abends zwischen
18 und 20 Uhr) durfte man diese innerhalb von zehn Minuten im Wasch- und
WC-Raum (ein und derselbe Raum, ohne Zwischenwand) entleeren, reinigen
und mit frischem Wasser füllen. Dann mußte man sich auch in
größter Eile waschen und seine Not verrichten. Es gab nur kaltes
Wasser, das durch einen langen Blechtrog aufgefangen wurde. Einmal wöchentlich
wurde man im Erdgeschoß in einen Raum mit Zementfußboden zum
Duschen mit warmem Wasser geführt.
In den Zellen auf den Eisenbetten lagen je ein Strohsack, ein Leintuch,
ein kleines Kissen und eine alte graue Decke. Bekleidet waren wir mit alten,
abgetragenen, teilweise zerrissenen, gestreiften Häftlingshosen und
-jacken, unter denen wir eigene Unterwäsche tragen durften. Schlafanzüge
waren nicht erlaubt (ein Pyjama wurde als Luxus betrachtet). Man durfte
nur in Unterwäsche schlafen. Die Nachtruhe von 22 Uhr abends bis 6
Uhr morgens wurde respektiert. Einmal im Monat wurde das Haar bis auf 2
mm Länge geschnitten. Unser ganzes Hab und Gut bestand aus einem Leinwandsack,
in
dem die Zahnbürste, ein Stück Seife, eine Unterhose, ein
Hemd, zwei Paar Strümpfe und ein Taschentuch sein durften, mehr nicht.
Zweimal in der Woche wurden wir von einem aus unerer Mitte rasiert, der
immer sofort alle Rasierutensilien an den Gefängniswärter zu
übergeben hatte. Das Essen wurde dreimal am Tag ausgeteilt. In der
Früh, um 6.30 Uhr eine Schale warmes Wasser mit Kaffee-Ersatz, etwa
50 g Marmelade und die 350 g Tagesration Brot (schwarzes). Mittags gab
es eine Suppe, etwa 150-200 g Maisfladen (für viele ungenießbar)
und einen zweiten Gang. Das Essen wurde auf Aluminiumtellern verabreicht
und mit Aluminiumlöffeln gegessen, die nach jeder Mahlzeit eingesammelt
wurden. Messer und Gabel gab es nicht. Das Mittagessen bestand aus Suppe
(abwechselnd aus Kartoffeln, Bohnen, Kraut, Tomaten zubereitet oder irgendeine
undefinierbare braune Brühe) und einem zweiten Teller Essen, das jahrelang
entweder aus Kartoffelgemüse oder aus in Wasser gekochten Graupen
(Gerstengraupe) oder furchtbarem sauerem Kraut oder aus Gemüse, aus
trockenen Bohnen oder leeren Makkaroni bestand. Der Suppe oder dem zweiten
Gang waren dann öfters ein ranziges gelbes oder rötliches Fettöl
beigemengt. Kleine Fleisch- oder Fettstücke waren fast nie zu bemerken.
Wenn manchmal sich welche aus der Küche in die Eßbehälter
verirrt hätten, wurden sie während des Transports von den für
Diebstahl oder Verbrechen inhaftierten Häftlingen
herausgefischt. Das Abendessen bestand fast ausnahmslos aus in Wasser
gekochten Gerstengraupen. An fünf oder sechs Abenden im Monat gab
es zur Abwechslung in Wasser gekochten Grieß oder Reis ohne jede
weitere Beigabe. Es gab nie frisches Gemüse, nie Obst, Milch, Käse,
Wurst, Salat.
Vor den siebziger Jahren wurden auch die Zellen im Parterre als Unterkunft
benutzt. Seitdem sind aber die meisten Zellen zu Werkstätten, die
Kellerräume zu Abstellkammern umfunktioniert worden. Hier arbeiteten
die meisten politischen Häftlinge unter primitiven Verhältnissen
und mit rudimentärem Werkzeug bei der Herstellung von verschiedenen
Holzkisten sowie aus Stahldraht gefertigten Spiralfedern für Betten-
und Sofaeinsätze. Die Arbeitsnormen waren hier so hoch geschraubt,
daß diese nur in ganz seltenen Fällen erfüllt werden konnten.
Die Häftlinge mit akademisch-technischer Ausbildung wurden in
einem Entwurf- und Zeichenbüro beschäftigt und lieferten somit
für alle Erzeugnisse der verschiedenen Werkstätten die technischen
Zeichnungen und die Produktionsentwürfe. In diesem Raum arbeiteten
in den meisten Jahren 5-8 Häftlinge. Dann gab es für die politischen
Häftlinge, die technisch begabt waren, eine Elektrowerkstatt, in der
auch 4-6 Häftlinge beschäftigt wurden. Man berechnete den arbeitenden
Häftlingen ihr monatliches Einkommen. 10% davon wurde dem Häftling
auf ein Sparbuch zurückgelegt. Dieses Geld erhielt er bei der Entlassung
ausgezahlt. Die Arbeitszeit war von 7.00-13.00 Uhr und von 14.00-17.00
oder 18.00 Uhr festgesetzt. Viele von den Häftlingen, die im Entwurfsoder
im Zeichenbüro sowie in der Elektrowerkstatt arbeiteten, forderten,
daß sie bis 20.00 Uhr arbeiten dürften, um nicht in der Zelle
herumzusitzen. Die Sonntage waren die schwersten Tage, da saß man
untätig den ganzen Tag auf
dem eisernen Bettrand. Als Lektüre bekam man die offizielle Regierungszeitung
Scinteia zu lesen und Bücher, die dem sozialistischen Aufbau der kommunistischen
Gesellschaft dienlich erschienen.
Die anfänglichen Spaziergänge von dreißig Minuten,
nachmittags im umzäunten Hof vor den Zellen, benutzten wir dazu, wenn
noch Sonne war, den Oberkörper zu entblößen und kleine
Turn- oder Laufübungen zu machen. Dies wurde uns dann verboten, und
da wir uns von diesen Ertüchtigungs- übungen nicht abbringen
ließen, wurde der obligatorische Spaziergang von 6.30 Uhr bis 7.00
Uhr angesetzt, wenn noch keine Sonne in den Hof schien.
In einer Zelle waren meistens vier Personen untergebracht. Zeitweise
als Schikane auch sechs: dies führte dann besonders im Sommer zu Luftmangel
und Schlafbeschwerden. Etwa alle zwei Monate wurden die Häftlinge
in andere Zellen, mit anderen Mithäftlingen, verlegt. Das Zusammenleben
auf engstem Raum war für viele eines der schwierigsten Probleme. Gehör-
und Geruchssinn sind ständig überfordert. Es stauten sich Aggressionen
an, welche aus den nichtigsten Gründen zum Ausbruch kommen konnten
und zu schweren Konflikten führten.
Manchmal, am Samstagabend oder am Sonntagvormittag, seltener auch einmal
abends während der Woche, wurde die Gruppe der politischen Häftlinge
zu einem 60-90 Minuten dauernden Fernsehprogramm geführt. Wenn unsere
Gruppe dabei von einem Hof in den anderen geführt wurde und sich einer
Gruppe gewöhnlicher Sträflinge näherte, mußten sich
diese auf Kommando von uns abwenden, um uns nicht zu sehen. Aus Spaß
riefen sie dann alle im Chor ,,Achtung, die
Amerikaner kommen".
Der Zahl der im Urteil verhängten Haftjahre waren die Rechte der
Häftlinge angepaßt, dem Prinzip
entsprechend: je länger die Strafe, umso weniger Begünstigungen.
Am schwersten waren die politischen Häftlinge betroffen, die mehr
als zehn Jahre Haftzeit verpaßt bekommen hatten. Diese Kategorie
der ,,Staatsfeinde" durfte nur alle drei Monate eine Postkarte nach Hause
schreiben oder von dort Post empfangen, ein 5 kg Lebensmittelpaket erhalten
und einmal für die Dauer von 20 Minuten ein Gespräch mit einem
Verwandten führen. Durch Überschreitung der Arbeitsnorm und vorbildliches
Betragen konnte man monatlich zusätzlich eine der drei Begünstigungen
von der Gefängnisleitung
genehmigt bekommen. Das Gefängnis hatte auch eine Krankenabteilung
mit etwa 12-20 Betten, in der einem Arzt und einem Sanitäter aus den
Reihen der Häftlinge die Betreuung oblag.
Von den politischen Häftlingen starben im Jahre 1974 Dipl. Ing.
Lang an Herzversagen und 1977 Dipl. Ing. Ascher an Darmverwicklung. Schwere
Krankheitsfälle wurden in der Regel nach Bukarest ins Zentralkrankenhaus
für Häftlinge oder ins Gefängnis Jilava überführt.
Es gab auch ein notdürftig eingerichtetes zahnärztliches Kabinett,
in dem die dringendsten Fälle und einfache Zahnbehandlungen von einer
Zahnärztin durchgeführt wurden. Diese Zahnärztin (Gattin
des Gefängnisdirektors) war
selbst kränklich. Sie hat unter den gegebenen Bedingungen wirklich
ihr Bestes geleistet und viele der gewesenen Häftlinge gedenken in
Dankbarkeit ihrer aufopfernden Tätigkeit.
Nach der Entfernung des Innenministers Draghici waren jedwelche Tätlichkeiten
und Folter bei politischen Häftlingen untersagt, und nur wenige Verstöße
gegen diese Order wurden bekannt. Bei Nichteinhaltung der Gefängnisordnung
konnte man schon aus den geringfügigsten Anlässen bestraft werden,
durch den Verlust der oben erwähnten Begünstigungen, durch Arbeitsverbot,
Einzelhaft, Karzer usw. Bei Karzerstrafe mußte man den ganzen Tag
in einer Zelle mit Zementboden stehen und durfte sich nicht setzen. Am
Abend wurde ein Holzbett (Pritsche) aus der Wand heruntergelassen, auf
dem man mit nur einer Decke als Ausstattung schlafen mußte. Als
Essen bekam man jeden zweiten Tag nur Wasser und Brot und nur jeden zweiten
Tag das normale, schon beschriebene Menü.
In den Jahren 1972-75 war eine ganze Gruppe von politischen Häftlingen
(unter ihnen auch Dr. Ighisan) 1 Jahr lang unter diesen Bedingungen gehalten
worden, weil man in den von Häftlingen gefertigten Verpackungskartons
Nachrichten über die Gefängnisbedingungen an die in Freiheit
lebenden Verwandten entdeckt hatte. Die meisten von diesen so Bestraften
sind mit schweren gesundheitlichen Schäden belastet geblieben.
Einmal im Monat hielten der Gefängnisdirektor oder sein Stellvertreter
Audienzen ab, bei denen man Beschwerden oder Bitten vorbringen konnte.
Manche von den politischen Häftlingen versuchten dann, zu ihrem Recht
zu kommen, indem sie verlangten, Schreibzeug und Papier zu erhalten, um
eine Petition für ein Wiederaufnahmeverfahren in ihrem Falle an leitende
Behörden des Landes zu richten. Andere wieder versuchten, ihre Strafe
durch Gnadengesuche zu verkürzen.
Fast wöchentlich fanden sogenannte unerwartete Durchsuchungen
statt, in der Zelle und am Arbeitsplatz. Bei dieser Prozedur mußte
man sich gewöhnlich entkleiden, damit die sogenannte Leibesvisitation
einfacher vonstatten ging. Man suchte hauptsächlich nach verstecktem
Schreibzeug, nach Schriften, Werkzeug, Messern, Rasierzeug usw.
Die Sprechstunde mit den Verwandten konnte immer nur an bestimmten
Tagen des Monats (Reihenfolge der Zugelassenen alphabetisch) stattfinden.
Man wurde dann unter Bewachung in ein Gebäude nahe dem Eingangstor
geführt. Während des Gesprächs war man von den Verwandten
oder der Familie durch eine doppelte Trennwand, deren Unterteil gemauert
war und deren Oberteil aus Drahtgeflecht bestand, getrennt. Im Mittelgang
zwischen den beiden Trennwänden spazierte der wachhabende Unteroffizier
auf und ab. Man konnte sich nur in Schulterhöhe aufwärts auf
etwa 1,20 m
Distanz durch die beiden Drahtgeflechte sehen und sprechen.
Erwähnenswert wären noch die ständigen Schikanen, denen
man von seiten der Gefangenenwärter (sie versahen ihren Dienst in
drei Schichten) ausgesetzt war. Diese Leute hatten sowieso einen Minderwertigkeitskomplex
uns Akademikern gegenüber und waren von diesem jahrelangen geist-
und gemüttötenden Beruf sowie den ständigen Einschüchterungen
ihrer Befehlshaber total deformiert.
So wollte ein jeder von ihnen den Strohsack und die Decke nach anderen
geometrischen Formen ausgerichtet haben. Nach Laune und Gutdünken
mußten die Zimmerdielen geschrubbt, das WC und der Duschraum gereinigt
werden, man mußte zum Appell antreten.
Mit wieviel Fassung und Humor man so einen Gefängnisaufenthalt
auch zu meistern weiß, man kommt doch nicht daran vorbei, viele bittere
Stunden und Erniedrigungen zu durchleiden.
Die Sozialistische Republik Rumänien ist eines der Länder,
in denen Menschen aus politischen Gründen verfolgt und zu hohen Freiheitsstrafen
verurteilt werden, während gleichzeitig die Existenz politischer Gefangener
geleugnet wird. Kritik an staatlichen oder wirtschaftlichen Mißständen
bzw. an der politischen Linie oder Führung, mißliebiges religiöses
Engagement oder die Weitergabe von Informationen über Menschenrechtsverletzungen
werden als schwere Verstöße gegen die Sicherheit des Staates
eingestuft. Unter bestimmten Umständen werden auch Straftaten konstruiert,
um eine
rechtliche Handhabe gegen Bürger zu finden, die international
anerkannte Freiheitsrechte für sich beanspruchen, wie sie in Artikel
18 und 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten
Nationen festgeschrieben sind: ,,Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-,
Gewissens- und Religionsfreiheit." ,,Jeder Mensch hat das Recht auf freie
Meinungsäußerung."
Rumänien hat sich nicht nur durch die Ratifizierung des Internationalen
Pakts über bürgerliche und politische Rechte zur Einhaltung dieser
Freiheitsrechte verpflichtet, sondern sie auch als Grundrechte in der Verfassung
von 1965 verankert: Artikel 28 garantiert allen Bürgern die Rede-
und Meinungsfreiheit; nach Artikel 30 genießen sie Gewissensfreiheit
und das Recht auf freie Religionsausübung.
Tatsächlich jedoch wird fast jeder Versuch, diese Bürgerrechte
wahrzunehmen, als eine Handlung gewertet, die auf ,,die Veränderung
der sozialistischen Gesellschaftsordnung" zielt bzw. ,,faschistischen oder
antidemokratischen Charakter" hat und somit nach Artikel 29 der Verfassung
strafbar ist. Anwendung findet in solchen Fällen der Sonderteil 1
des rumänischen Strafgesetzbuches von 1968 über ,,Straftaten
gegen die Sicherheit des Staates", darunter folgende Artikel:
- Verrat durch Geheimnisübermittlung (Art. 157);
- Propaganda gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung (Art. 166);
-
- Bildung einer Verschwörung (Art. 167)
Personen, die gewaltlos elementare Menschenrechte für sich in
Anspruch genommen haben, können auf der Grundlage dieser Artikel zu
5 bis 15 Jahren bzw. 15 bis 20 Jahren Gefängnis verurteilt werden.
Entgegen rechtsstaatlichen Grundsätzen sind Zivil-personen, denen
Straftaten gegen die Sicherheit des Staates angelastet werden, in Rumänien
der Militärgerichtsbarkeit unterworfen: Richter und Volksbeisitzer
sind aktive Offiziere; das Ermittlungsverfahren wird von der staatlichen
Geheimpolizei SECURITATE durchgeführt und von der Militärstaatsanwaltschaft
überwacht. Als Beweise für die angeblich subversive Tätigkeit
des Angeklagten werden am häufigsten Flugblätter, Plakate, Briefe,
öffentliche Reden, Untergrundzeitschriften sowie Gespräche mit
Ausländern herangezogen.
Wenn die Beweisführung auf Schwierigkeiten stößt, unternehmen
Miliz (Polizei) und SECURITATE (Geheimpolizei) oft den Versuch, irgendwelche
Straftaten zu konstruieren, wie z.B. Devisenvergehen, Unterschlagung, Besitz
ausländischer Presseerzeugnisse oder pornographischer Schriften. In
solchen Fällen werden politische Gefangene von den allgemeinen Gerichten
abgeurteilt, es sei denn, der Straftatbestand der ,,Unterhöhlung der
Volkswirtschaft" (Artikel 165) wird unterstellt.
In Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen gewaltlose politische Gefangene
werden international anerkannte Rechtsgrundsätze schwerwiegend verletzt.
Zahlreiche Aussagen belegen, daß die Verhörspezialisten der
SECURITATE häufig Geständnisse zu erzwingen versuchen. Zu den
Methoden, die Amnesty International in den letzten Jahren registriert hat,
gehören z.B.: - brutale Prügel oder deren Androhung; - vollkommene
Isolation von der Außenwelt, z.T. über mehrere Wochen; - Einschleusung
von Spitzeln in die Zellen; - längere Haft ohne Tageslicht bei unzureichender
Belüftung der Zellen; - Dauerverhöre von 7 Uhr morgens bis Mitternacht;
- minuziöses Vergleichen sinnlos erscheinender ,,Erklärungen",
die der Gefangene stundenlang niederschreiben und anschließend mehrere
Tage hintereinander wortwörtlich wiederholen muß; - lügnerische
Behauptungen über Scheidungsabsichten des Ehepartners bis hin zu dem
Versuch, die Trennung zu erreichen (oft erfolgreich); - ausgesucht höfliche
Gespräche, die dazu verleiten sollen, wenigstens eine ,,geringe Schuld"
zuzugeben.
Prozesse gegen politische Gefangene finden fast ausnahmslos unter Ausschluß
der Öffentlichkeit statt. Angeklagte dürfen zwar einen Rechtsanwalt
ihrer Wahl benennen, konnten ihn aber in den meisten Fällen, die Amnesty
International bekanntgeworden sind, nur bei der Hauptverhandlung sehen.
Und erst bei der Hauptverhandlung erhält der Anwalt laut Berichten
Einblick in die Akten, was der rumänischen Prozeßordnung widerspricht.
Informtionen über Prozesse, die oft nicht länger als 40 bis 50
Minuten, selten bis zu zwei Stunden dauerten - Berufungsverfahren werden
manchmal in zehn
Minuten abgewickelt -,lassen den Schluß zu, daß die Urteile
in vielen Fällen bereits im voraus feststehen.