MITTEILUNGSBLATT DES HEIMATVERBANDES BANATER
BERGLANDDEUTSCHER E.V.
Folge 75, 76     München-Wien, Juli-August, September-Oktober 1997                         13. Jahrgang



 


So mancher von uns meint, wir seien am Endpunkt unserer Geschichte als Banater Bergland-deutsche angelangt. Ich teile diese Meinung nicht, denn damit würden wir die Bemühungen jener mißachten, die sich auch heute noch für die Erhaltung deutscher Kultur im Banater Bergland einsetzen. Solange es dort eine deutsche Minderheit gibt, die sich zu den Wurzeln bekennt, haben wir nicht das Recht, diesen Menschen die Hoffnung auf den Erhalt ihrer Identität zu nehmen. Früher war es schwierig, ja gefährlich, die Banater Heimat zu verlassen. In Anbetracht all der Probleme, denen sich die Menschen in Rumänien stellen müssen, fällt heute die Entscheidung zu bleiben schwer. Jenen, die sie für sich getroffen haben, gebührt unser Respekt. Wir dürfen ihre Entscheidung nicht in Frage stellen oder gar abwerten, nur weil wir uns damals anders entschieden haben. Im Gegenteil, sie verdienen unsere Aufmerksamkeit, unsere Hilfe und unsere Anerkennung. Für uns, die wir heute in Deutschland oder Österreich oder sonstwo leben, hat eine neue Phase unserer Existenz begonnen, eine Phase der Standortbestimmung, des Umdenkens und des Neubeginns. Es kann und darf nicht sein, daß wir uns hier wohl-gefällig auf dem Erreichten ausruhen und uns nach einem mehr als 2oojährigen Wirken im Banater Bergland sang- und klanglos von unserer alten Heimat verabschieden. Damit würden wir unsere eigene Vergangenheit verleugnen.
Unsere Vergangenheit, die Geschichte der Banater Berglanddeutschen, verdient es, daß wir uns mit ihr auseinandersetzen. Wir brauchen sie vor niemandem zu verstecken, brauchen unsere Herkunft nicht zu verbergen. Unsere Geschichte ähnelt einem Stafettenlauf, den vor mehr als 200 Jahren unsere Ahnen in Bayern und der Steiermark, in Baden und Württemberg, in Böhmen und Mähren und... und... und... begonnen haben. Sie sind in eine ungewisse Zukunft gestartet, vor Augen das Ziel: ein besseres Leben. Die erste Etappe war voller Schwierigkeiten. Aber die meisten Einwanderer schafften es schließlich, die Stafette an ihre Nachkommen weiterzugeben. Und auch diese haben, allen Widrigkeiten zum Trotz, ihren Strecken-abschnitt bewältigt. Und so hat jede Generation zur wirtschaftlichen und kulturellen
Entwicklung des Banater Berg landes beigetragen. Sind wir, die Auswanderer, die letzten in diesem Stafetten-lauf? Sind wir im Ziel? Sollen wir nun die Stafette fallenlassen? -Wir sind am Ende und doch wieder am Anfang, an unseren Wurzeln angekommen. Wir haben hier einen neuen Stafettenlauf begonnen, denn - wie sagten schon die alten Japaner? - ,,es ist besser hoffnungsfroh zu reisen als anzukommen". Die Stafette werden wir weitergeben an die nächste Generation.
In diesem Sinne rufe ich alle Reschitzer; Orawitzer, Steierdorfer; Ferdinandsberger, einfach alle, die sich dem Banater Bergland verbunden fühlen, auf, die Stafette weiterzureichen. Diese Stafette ist unsere Geschichte, sind unsere Erfahrungen und unser Mut, einen Neuanfang zu wagen. Wenn wir das in die Gesellschaft, in der wir heute leben, einbringen, ohne Kleinkariertheit, ohne Arroganz, ohne Besserwisserei, dann profitieren alle davon, wir Neubürger und die Alteingesessenen.

Die Bundesrepublik hat uns die Hand ausgestreckt und Hilfe angeboten, als wir sie brauchten. Den Kraftakt, sich an dieser Hand hochzuziehen und uns auf die eigenen Füße zu stellen, den mußten wir selbst vollbringen. Jetzt ist es an der Zeit, daß wir eine Hand ausstrecken, um denjenigen zu helfen, die es nötig haben. Es ist aber ebenso wichtig, daß wir gleichzeitig die andere Hand um die Schulter derjenigen legen, die uns geholfen haben, uns in ihre, nein, UNSERE Gesellschaft zu integrieren. Unsere historische Erfahrung lehrt uns, daß wir den Kontakt zu denen, die vor uns da waren,
suchen und pflegen und zugleich die Öffnung in Richtung gemeinsames Europa voranbringen müssen. Für den Heimatverband der Banater Berglanddeutschen gibt es also genug zu tun. Deshalb ist es wichtig, die Verbandsarbeit weiterzuführen und ihr neue Impulse zu geben.
Jede, jeder von uns kann einen Beitrag dazu leisten, man muß es nur wollen!


Strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft des Banater
Montangebietes vom 18. bis ins 20. Jahrhundert
von Rudolf Gräf
Das Banater Montangebiet oder Montanisticum, wie es auch genannt wurde, entspricht größtenteils dem im Südwesten Rumäniens liegenden Kreis Karasch-Severin, der im Südwesten an Serbien grenzt, im Südosten an den Kreis Mehedinti, im Osten an den Kreis Gorj, im Nordosten an den Kreis Hunedoara und im Norden und Nordwesten an den Kreis Timis. Der größte Teil der Oberfläche des Kreises Karasch-Severin ist gebirgig. Im Norden finden wir den südlichen Teil des Poiana Rusca Gebirges, dem sich in südlicher Richtung, die zu den Südkarpaten gehörenden Gebirge Tarcu, Godeanu, Cerna und Mehedinti anschließen, diesen sind gegen Westen das Semenik Gebirge und die Banater Berge (um Bozovici, Orawitz, Doclin u.a.) vorgelagert. Die Ebenen (Sipot, Morawitza und Karasch) nehmen nur eine kleine Fläche ein und gehören geographisch zur großen Banater Ebene. Die wichtigsten Flüsse der Region, die auch für ihre wirtschaftliche Entwicklung eine Rolle spielen, sind die Donau im Süden sowie Nera, Karasch und Bersau (Birzava). Das Klima der Region ist gemäßigt kontinental mit Mittelmeereinflüssen. Es wurde bereits vor mehr als hundert Jahren von den ins Land gekommenen österreichischen Beamten, wenn auch nur oberflächlich, beobachtet, wie dies eine
,,General-Statistik der Banater Domäne der k.k.priv.österr. Staatseisenbahngesellschaft nach dem Stande mit Beginn des Jahres 1877" erkennen läßt, in der es heißt: ,,Bei einer nördlichen Breite von 450, bei welcher die Lage südlicher ist als z.B. die von Venedig, und bei der geringen Seehöhe des Flachlandes von 80 bis 125 Metern, gehört das hiesige Klima zu den wärmsten unseres Reiches (gemeint ist Österreich-Ungarn) und steht in seinen durchschnittlichen Wärmeverhältnissen
demjenigen der norditalienischen Hochebene gleich. Deswegen ist der Sommer und die Vegetationszeit sehr lange, der Winter oft kurz, milde und ohne dauernde winterliche Schneedecke sowie ohne anhaltende Frostzeit und gedeihen daher alle wärmebedürftigen Kulturgewächse  (S.38).
Die Geschichte des Banater Berglandes ist eng mit der Geschichte des gesamten Banats verbunden, weist jedoch einige Besonderheiten auf, die eine gesonderte Beschäftigung damit nicht nur recht- fertigen, sondern auch erforderlich machen. Im folgenden werde ich mich insbesondere mit demjenigen Teil des Banater Berglandes beschäftigen, der im 18. Jahrhundert Eigentum des Arars (Wiener Hofkammer) war, der dann um die Mitte des 19. Jh. Eigentum der ,,k.k.privilegierten österreichischen Staatseisenbahngesellschaft" (STEG) wurde, die nach dem Ersten Weltkrieg als ,,Uzinele de fier si domeniile Resita" (U.D.R.) ihre Aktivitäten fortsetzte. Es ist dies das Gebiet, welches sich von Norden bei Bokschan als bergiger Streifen nach Süden bis Neu-Moldowa erstreckt, sich westlich bis in die Gegend um Orawitz und nach Osten bis um Franzdorf und Dezesti ausdehnt. Das Banater Montanisticum war im 18. und bis um die Mitte des 19. Jh. reich an verschiedenen Bodenschätzen, welche die wirtschaftliche Entwicklung der Region geradezu schicksalhaft vorherbestimmten. Es waren dies Erzlagerstätten mit Nichteisenerzen (Kupfer, Blei, Silber; Gold) und Eisenerze sowie Kohle. Jede dieser drei Gruppen von Ressourcen spielte nacheinander eine entscheidende Rolle in der Prägung der
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Strukturen des Gebietes. Nicht unerwähnt darf der große Waldreichtum des Montangebietes bleiben, der durch die Verarbeitung zu Holzkohle eine wichtige Energiequelle für die im 18. Jh. sich herausbildende Industrie darstellte. Heute noch ist der Kreis Karasch-Severin der Kreis mit der zweitgrößten Waldfläche in Rumänien. Auch das Vorhandensein einer einheimischen rumänischen Bevölkerung war entscheidend für die spätere demographische
und wirtschaftliche Entwicklung des Banater Montangebietes wie übrigens für das ganze Banat. (Siehe dazu die Arbeiten von Griselini, Born, Ehrler, Wolf u.a.)
Zu diesen natürlichen Voraussetzungen gesellen sich mit ebenso entscheidender Rolle umwälzende militärische und politische Ereignisse, welche die politische und wirtschaftliche Konfiguration des Raumes in über zwei Jahrhunderten verändern sollten. Es handelt sich um das, was der französische Historiker Pierre Chaunu (in ,,Civilizatia Europei in secolul Luminilor", Ed. Meridiane, Buc. 1986, S.62) ,,die Verdoppelung des europäischen Raumes zwischen der Mitte des 17. Jh. und der ersten Hälfte des 18. Jh. durch die Wiedereingliederung der östlichen Christenheit" nennt. Es ist jene
Christenheit, die ,,wegen der Entfernung, dem Einfall der Nomaden aus den Steppen und einem ungünstigen Schicksal, nämlich der Niederlassung der Türken auf dem Balkan und insbesondere in der Donauebene" fast gänzlich von der abendländischen Christenheit getrennt war. Diese Wieder- eingliederung, die nach 1683 begann, vollzieht sich durch das Ineinandergreifen von zwei Elementen: das eine ist die Wiedergewinnung von Gebieten und das andere der beschleunigte Vorstoß einer ,,Kolonisierungsgrenze". Und so bedeutete der Sieg von Kahlen-berg bei Wien (12. Sept. 1683) einen Sieg der ,,Grenze Europas", den Beginn der ,,Verdoppelung des europäischen Raumes". Es folgen die Friedensabkommen von Karlowitz (1699), von Passarowitz (21. Juli 1718), letzteres bedeutet für das Haus Habsburg die Anerkennung seiner größten Gebietserweiterung im Südosten Europas. Es folgt noch ein Sieg über die Türken, der mit dem Frieden von Belgrad (1. Sept. 1739) anerkannt wird. Danach verläuft ,,die südöstliche Grenze Europas" lange Zeit entlang der Donau, der Save und der Berge des Temescher Banats.
,,Was hinter dieser Grenze liegt, der Balkan, wird vom Jahrhundert der Aufklärung an ohne
Bedauern den Türken überlassen. Für Österreich aber bleibt die Aufgabe der Neuorganisierung von
über 300.000 qkm neuen Gebietes". (Chaunu, S.83)
Diese Neuorganisierung setzt einen demographischen Ausgleich und einen progressiven Abbau der Unterschiede hinsichtlich der Entwicklungsrhythmen zwischen dem neuen Grenzeuropa und dem dichten, vereinigenden europäischen Kern des Abendlandes voraus. Wegen der geringen Bevölkerungsdichte (meistens 2-4, niemals mehr als 10 Einwohner pro qkm) hatte Osteuropa den origi- nellen Charakter eines zu kolonisierenden Grenzraumes, relativ wüst, weitgehend eben, so daß man mit dem Fuhrwagen angelangen konnte. Diesem neuen Grenzeuropa gehörte auch das Banat an. Und die
Unternehmungen des Hauses Habsburg und der deutschen Kolonisten gliedern sich diesem
Organisationsprozeß ein, der so tiefgreifende Folgen für das Banat haben wird.
Wie sieht diese Grenzregion Europas nach l64jähriger Türkenherrschaft aus? Die Gelehrten der Zeit beschreiben sie. Das gesamte Banat war weitgehend entvölkert. Griselini gibt anhand der
Konskription von 1770 für das Kameralgebiet 317.928 Einwohner an und schätzt die gesamte
Bevölkerung des Banats (inklusive der Teile, die heute zu Serbien und Ungarn gehören), also auch
die der Militärgrenze auf ungefähr 450.000 Einwohner. (Zum Vergleich: 1989 lebten allein im Kreis Karasch-Severin über 400.000 Menschen.) Die Zahlen, die Ehrler etwa zur gleichen Zeit angibt, unterscheiden sich nicht wesentlich von jenen Griselinis. Dabei muß man in Betracht ziehen, daß um 1770 bereits der zweite Schwabenzug in voller Entfaltung war und auch im Banater Bergland bereits Kolonisten ansässig waren.
Die Landwirtschaft des Banats war ruiniert. Weite Flächen waren Sümpfe. Und, wie Griselini
schreibt, "dort, wo die Bevölkerung wenig Ist, blüht auch die Landwirtschaft nicht". Der fruchtbare Boden - Düngung kennt man hier nicht - wird vernachlässigt. Die Obstbäume waren selten, die Veredelung der Bäume ist unbekannt. Als Hauptbeschäftigung der einheimischen Bevölkerung nennt Griselini Viehzucht und Jagd. Industrie fand man nach Inbesitznahme des Landes keine vor. Es gab aber Erze, Wälder und Wasser, also gute Voraussetzungen dafür, ab 1718 nach und nach eine Industrie aufzubauen. Man kann in der industriellen Entwicklung des Banater Montangebietes vier große Perioden erkennen:
1. das Zeitalter der Nichteisenerze - 18. und erste Hälfte des 19.Jh.
2. das Zeitalter der Kohle und des Eisens - zweite Hälfte des 19.Jh.
3. das Zeitalter des Maschinenbaus - Ende des 19. und 20.Jh.
4. Ab 1989 zeichnen sich neue Entwicklungstendenzen ab, die aber noch nicht definiert werden können.

Fortsetzung folgt.
 

Der Autor, Rudolf Gräf, ist Historiker am Museum des Banater Montangebietes in Reschitz
 


Professor Franz Kumher wurde 70.

Versuch einer Annäherung an einen Künstler aus dem Banater Bergland
 

Die Kumhers, das wissen die meisten Banater Bergländer, die kommen aus Orawitz. Und sie haben dort oder andernorts traditionelle Berufe ausgeübt. Auch Prof. Franz Kumher stammt aus Orawitz, aber sein Lebensweg führte ihn weit weg von dort, und einen traditionellen Beruf hat er auch nicht ergriffen, denn er wurde Künstler -Maler, Graphiker, Lichtkinetiker - und Kunstpädagoge.
Bereits wenige Jahre nach der Geburt des Sohnes Franz am 16. Juli 1927 zog die Familie aus Orawitz weg und wurde in Temeswar ansässig. Die Verbindung zu Orawitz jedoch blieb erhalten. Orawitz blieb der Ort, wohin man ,,nach Hause" fuhr, wie die Eltern zu sagen pflegten. Dort lebten die Großeltern dort verbrachte der kleine Franz unbeschwerte Ferientage. In der Werkstatt der Großväter - der eine war Tischler, der andere Spengler - hielt er sich als Bub gerne auf, sah fasziniert zu, wie Hände in geschicktem Umgang mit Werkzeugen aus einem Stück Holz oder Blech Gegenstände formten. Das seien, meint Kumher heute, Erlebnisse gewesen, die später seine künstlerische Entwicklung beeinflußt
haben, denn für ihn sei das Handwerkliche an seiner Kunst immer wichtig gewesen.
Die Begabung des Schülers Franz Kumher hat sein Kunsterzieher an der ,,Banatia" erkannt und gefördert. Prof. Rotsching erteilte dem talentierten Jungen Privatunterricht im Malen und ließ ihn auch schon mal in seinem Atelier an Bildhauerarbeiten mithelfen. Das Kriegsende machte die Zukunftspläne des angehenden Künstlers vorerst zunichte. Als Siebzehnjähriger wurde er in die Sowjetunion deportiert. Im Herbst 1946 kam er mit einem Krankentransport in die damalige Ostzone. Daß viele Orawitzer im Herbst 1944 geflüchtet waren, wußte er, auch daß sie inzwischen im Lager bei Ein-
beck in Niedersachsen (damals britische Zone) untergekommen waren. Also kam er im Dezember 1946 dorthin zu seinem Bruder. Ein Fremder - wie so viele - in einem fremden, vom Krieg zerstörten Land. Aber er war jung, hatte Verschleppung und Zwangsarbeit überlebt und das Leben vor sich.
1948 fing Franz Kumher an, sich seinen Traum zu erfüllen. Er begann ein Kunststudium an der Pädagogischen Hochschule in Alfeld an der Leine. Hier hatte sich um Prof. Kurt Schwerdtfeger, der vom berühmten Bauhaus in Weimar kam, ein Kreis von jungen Künstlern gebildet, die ihre Heimat im Osten verloren hatten, Ost- und Westpreußen, Schlesier, Kumher war der einzige Banater unter ihnen. 1953 wurde er Schwerdtfegers Assistent in Alfeld. Gleichzeitig bildete er sich an der Werkkunstschule in Hannover weiter, danach an der Hochschule für bildende Kunst in Hamburg. Graphik, Malerei,
Kunsterziehung und Kunstgeschichte beschäftigten ihn während seiner Studien, die er mit einem Universitätsstudium (Kunstgeschichte, Deutsche Literatur, Pädagogik, Philosophie) in Hamburg 1961 abschloß. Die während des Studiums erworbenen Kenntnisse setzte er gleichzeitig in praktische
Tätigkeit um, denn bereits ab 1950 war er nicht nur Kunststudent, sondern auch als Kunsterzieher an Volksschulen und Gymnasien tätig. 1963 wurde Franz Kumher Professor für Bildende Kunst an der Pädagogischen Hochschule Alfeld/Leine, aus der die Hochschule Hildesheim und schließlich 1989 die Universität Hildesheim hervorging. Bis zu seiner Emeritierung 1992 lehrte er dort junge Menschen den Umgang mit Kunst, Malerei, Graphik und Lichtkinethik waren die Schwerpunkte seiner Unterrichtsarbeit.
Auch als offizieller Ruheständler bleibt Prof. Franz Kumher aktiv. Er arbeitet schöpferisch als Künstler weiter und engagiert sich in künstlerischen Projekten wie die Ausstellung ,,Banater Künstler Heute", die 1995 in Temeswar, Budapest und München gezeigt wurde, und auch im Kulturverband der Banater Deutschen, dessen stellvertretender Vorsitzender er ist.
Was braucht man, um Künstler zu werden? Talent - ohne Zweifel. Aber ebenso wichtig - und das zeigt Prof. Kumhers Lebensweg deutlich - ist das ständige Arbeiten an sich selbst: lernen, nach neuen Wegen suchen, experimentieren, seine eigene Formsprache finden und nicht ausruhen auf dem
Erreichten. Begegnungen mit bedeutenden Menschen hat Franz Kumher immer wieder gesucht. Studienfahrten waren ihm wichtig. Beide haben seinen Werdegang als Künstler beeinflußt, geprägt. Er besuchte Malkurse in Salzburg bei dem berühmten Oskar Kokoschka, arbeitete in Worpswede mit dem damals besten Kupferdrucker Herbert Jaeckel, sprach mit dem bekannten Philosophen Ernst Bloch, dessen Satz ,,Die Zukunft gehört der Technik." ihm bestätigte, was ihn als Künstler beschäftigte. Er reist viel, immer wieder nach Österreich und Italien, malt Häuser in Amsterdam und Venedig und auch in Mörbisch am Neusiedler See, wo manches an die ferne Heimat erinnert und der Blick schon mal sehnsuchtsvoll nach Osten schweifte... Italienisch klingt dem in Rumänien Aufgewachsenen vertraut, die italienische Landschaft und die Zeugen antiker Kultur inspirieren den Künstler. Kumhers Arbeiten, in vielerlei Techniken gefertigt, oft in Mischtechnik, waren in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen, in vielen Orten Deutschlands, im europäischen Ausland, in Amerika und nach der Wende auch in Rumänien. Sie wurden mit Preisen und Anerkennung bedacht.
In vielen Zeitungsartikeln, in Ausstellungskatalogen sowie in zwei schönen Kunstbänden wird der Künstler und sein Werk einem interessierten Publikum vorgestellt. Kunsttheoretiker und Kunstkritiker haben sich mit Kumhers Werk befaßt, es eingehend interpretiert. Wie aber kann sich ein Laie Kumhers Arbeiten nähern, sie für sich entdecken und erschließen? Jemand der sich für Kunst gelegentlich interessiert, aber kein Kunstkenner ist, jemand wie ich also, wie wohl auch die meisten unserer Leser. Ich kann darauf nur eine sehr persönliche Antwort geben. Prof. Kumher lernte ich während einer Tagung des Kulturverbandes der Banater Deutschen kennen. Ich wußte, daß er Mitglied unseres Heimatverbandes ist und wollte über ihn für unsere Verbandszeitung schreiben. Um mich kundig zu machen, schenkte er mir die Monographie ,,Franz Kumher. Malerei, Graphik - Lichtkinetik", erschienen im Olms Verlag 1992 anläßlich seiner Emeritierung. Interessiert blätterte ich zu Hause in dem Buch. Viele der Bilder sprachen mich an, ich ,,verstand" sie nicht, aber sie ,,gefielen" mir. Als ich
,,Maschine mit Schwanz" sah, lachte ich unwillkürlich laut auf. Ein lustiges Bild. Auf den ersten Blick
erinnerte es mich an ein Kinderspielzeug, an eines jener Holztiere, die man an einen Bindfaden hinter sich herziehen kann. Und das soll eine Maschine sein? Aber war da nicht auch eine gewisse Ähnlichkeit mit den kleinen Werkslokomotiven, die in meiner Kindheit, eine lange Rauchfahne hinter sich herziehend, keuchend und mit viel Getöse die Kübelwagen zum Schlackensturz hinaufzogen? Das Bild wurde mir sympathisch, wenn man so etwas von einem Bild sagen kann. Ich sah es mir genauer an, erkannte den Amboß, ein solider Sockel, auf dem die seltsame ,,Maschine" steht. Oder ist es ein Rad? Eine Keilriemenscheibe? Ich glaube, was es genau ist, ist nicht so wichtig, wichtiger ist die Möglichkeit der Assoziationen. Ich betrachtete die minutiös gezeichneten geometrischen Formen, die Kumher hier zusammengefügt hat.
Ich kann mir vorstellen, wieviel Arbeit in dieser Zeichnung steckt. Und plötzlich war da mehr als nur flüchtiges Interesse. Andere Bilder erinnern an Fördertürme, an Dampfkessel, an jene Maschinen, die das Industriezeitalter eingeleitet und großgemacht haben. Technik war für Kumher wie für viele seiner
Generation -auch für mich - ,,eine konkrete Utopie, die zwingend eine neue Lebensqualität einforderte, jenseits der Zwänge der materiellen Produktion Freiräume für sinnvolles ästhetisches und gesellschaftliches Handeln schaffen sollte", schreibt der renommierte Kunsthistoriker Manfred Boetzkes in der Monographie. ,,Technischer Fortschritt ist nur als menschlicher Fortschritt vorstellbar. Die Maschine ist der Freund des Menschen - oder nichts." Haben nicht auch wir daran geglaubt?
Und an noch etwas dachte ich beim Betrachten der konstruktivistischen Bilder aus den 60er Jahren. Haben technische Erfindungen nicht auch etwas mit Spielen zu tun? Ist Tüfteln, Experimentieren nicht auch eine Art Spiel? Kumhers Bilder vermitteln etwas von der kindlichen Freude an diesem Spiel. Durch die Klarheit und Strenge der geometrischen Formen erinnern sie aber auch daran, daß es ein Spiel mit strengen Regeln ist, was die Freude am Spiel keineswegs mindert, im Gegenteil, es macht das Spiel geradezu faszinierend, denn gewinnen kann nur, wer die den Dingen innewohnende Ordnung erkennt. Keine Maschine funktioniert, wenn die physikalischen Gesetze nicht beachtet werden. Arbeiten aus den späten 80er und den 90er Jahren, in denen Kumher mit geometrischen Formen experimentiert, lassen zunehmend erkennen, daß Zweifel aufgekommen sind an unserer euphorischen Technikgläubigkeit. Viele zeigen einen Komplex von Objekten, auf- unter-, nebeneinander angeordnet, eine verwirrende Vielfalt. Manche der Objekte erinnern an Fernseher und Radio, deren kreisförmige Lautsprecher gleich dunklen, starren Riesen-augen bedrohlich wirken. Es sind Sinnbilder unserer hochtechnisierten Welt, die für den einzelnen nicht mehr durchschaubar ist und in der die rasante Entwicklung der elektronischen Kommunikationsmittel eine immer größere Rolle spielt.
Er wolle in seinen Arbeiten ,,die Komplexität der Welt in einfachen allegorischen Formen" darstellen, sagte Prof. Kumher kürzlich in einem Gespräch. Dafür ist das Bild ,,ieri, oggi, domani" (gestern, heute, morgen) von 1986 ein anschauliches Beispiel: links das Bruchstück einer antiken Säule - Symbol der Wurzeln unserer abendländischen Kultur; in der Mitte, die beiden anderen Objekte überragend, eine jener wuchtigen geometrischen Figuren, die bei Kumher Symbol des technischen Zeitalters sind; und rechts ein Gefäß, in dem eine kleine grüne Pflanze sprießt - das Symbol der Hoffnung.
Unvergeßlich bleibt mir ein Bild aus der Ausstellung in Freiburg im Rahmen der diesjährigen Tagung der Adam-Müller-Guttenbrunn Gesellschaft. Es ist eines der in jüngster Zeit entstandenen Gemälde, dem Kumher den Titel ,,Brot und Wein" gegeben hat. Der Titel und die Schlichtheit der Darstellung verleihen dem Bild etwas Ergreifendes, etwas geradezu Religiöses. Auf dem Tisch steht ein brauner Tonkrug (Braun- und Gelbtöne in allen Schattierungen bis hin zu rot und schwarz sind Kumhers Lieblingsfarben.), daneben liegt ein Brotlaib. Der Tonkrug hat die Form, wie wir sie aus dem
Banat kennen. ,,Eine pluta", sagt Prof. Kumher. Und mich berührt es seltsam, daß der weitgereiste Mann, der Künstler, der an vielen Orten der Welt gemalt hat und dessen Werk vielerorts bekannter ist als in seinem Geburtsort, mit ,,Brot und Wein" zurückgekehrt ist zu seinen Wurzeln.
 

Am 16. Juli 1997 hat für Prof. Franz Kumher eine neues Lebensjahrzehnt begonnen. Möge auch dieses für ihn ein schöpferisches, ein erfülltes Jahrzehnt werden!

Herta Drozdik-Drexler


Bruno Windhager - der Naturfreund, der Lehrer, der Mensch




Professor Bruno Windhager war eine herausragende Persönlichkeit im Banater Bergland der Zwischen- kriegszeit. Geboren am 15. Juni 1892 in Franzdorf, war sein Lebensweg durch die beiden Weltkriege vorgezeichnet. Das Studium am Polytechnikum in Kecskemet/Ungarn mußte er kurz vor dem Staatsexamen abbrechen, um in der k.u.k. Armee Militärdienst zu leisten. Das unglückliche Kriegsende, die Nachkriegskrisen und die neuen Staatsgrenzen machten es ihm unmöglich, das Abschlußexamen nachzuholen. Ab 1920 verdiente er seinen Lebensunterhalt im Schuldienst. Gut zwanzig Jahre war er in Reschitz als Mittelschullehrer tätig. Der Offizier der Reserve wurde während des Zweiten Weltkrieges wiederholt zum Dienst in der rumänischen Armee mobilisiert. Sein Freund Alexander Tietz weiß, daß er von Militärdienst und Krieg nicht begeistert war Er liebte seine Familie und arbeitete mit Hingabe in seinem Beruf, von beiden trennte ihn der Krieg. Als Hauptmann bei den Pionieren wurde er im November 1943 zusammen mit seinem Kutscher während einer Fahrt im Hinterland von Partisanen ermordet und fern der Heimat in Balta/Bessarabien beigesetzt.
Die Liebe zu Natur und Heimat war dem Sohn eines Forstwarts als väterliches Erbe in die Wiege gelegt worden, hatte sich doch jener als Verfasser heimatkundlicher und familiengeschichtlicher Studien über Reschitz und Franzdorf verdient gemacht. Der Sohn war wie der Vater tief in seiner Banater Bergland- heimat verwurzelt. Er machte es sich zur Lebensaufgabe, seinen Schülern die heimatliche Landschaft zu erschließen. Bruno Windhager leistete diesbezüglich wahre Pionierarbeit. Zusammen mit seinem Freund und Lehrerkollegen Alexander Tietz erweckte und förderte er bei der Jugend das Interesse und die Freude an Natur und Heimat. Geprägt waren beide diesbezüglich auch durch ihre Besuche in
Österreich in den zwanziger und dreißiger Jahren, wo sie gemeinsam den Dachstein, den Tauernkogel und den Großglockner bestiegen sowie Salzach- und Zillertal durchwanderten. Mit besonderem Interesse besuchte Windhager das Land seiner Ahnen, die Steiermark, stammten doch sowohl die Vorfahren des Vaters wie auch die der Mutter aus diesem Bundesland Österreich. Windhager und Tietz hielten Lichtbildvorträge, die bei der Jugend großen Anklang fanden. Durch eigenes Beispiel bewiesen sie, daß Wanderungen nicht nur im Sommer, sondern zu allen Jahreszeiten möglich und schön sind. Die beiden brachten erstmals Skier ins Banater Bergland und regten die Herstellung derselben durch Heimwerker in Wolfsberg an. Eigenhändig bauten sie mit Hilfe von Gesinnungs- freunden die erste Schutzhütte auf dem Semenik, welche auch im Winter zu benützen war. Viele Freunde unter den Bewohnern von Franzdorf und Wolfsberg unterstützten diese Aktivitäten.
Professor Windhager war ein Mann mit mannigfachen Kenntnissen, Fähigkeiten, Gaben. Durch seine Bildung, seine Art, sein ganzes Wesen war er geradezu prädestiniert, ein idealer Lehrer und Jugenderzieher zu sein. ,, Er war von derselben Abstammung wie seine Schüler, er sprach dieselbe Mundart und war selber eine vorbildliche, glückliche Verkörperung ihrer Art", schreibt Alexander Tietz. Er war ein hervorragender Wissensvermittler, er konnte jeden neuen Bildungsstoff organisch in
den vorhandenen, ererbten heimatlichen Bildungskreis einfügen, Ring an Ring schließen und den Wissenkreis der Schüler erweitern und vertiefen. Als Lehrer der Mathematik erfand er verblüffend anschauliche Modelle, um z.B. die Raumgeometrie seinen Schülern nahezubringen. Am auffallendsten war seine Begabung für fremde Sprachen. Er sprach mit Rumänen wie ein Rumäne, mit Ungarn wie ein Ungar, mit Franzosen wie ein Franzose. Er besaß englische und russische Sprachkenntnisse. Dabei wußte niemand, wo und wann und wie er diese Sprachen erlernt hatte. Man hatte den Eindruck, sie flogen ihm wie von selbst zu. Er war nicht nur ein Sprachgenie, er war auch ein geschickter Handwerker Das Tischlerhandwerk beherrschte er wie einer von der Zunft, stellte für die Schule und für sein Haus Tische, Bänke, Regale her.
Er war ein Mann voll Witz und Geist. Jene unter uns, die ihn gekannt haben, erinnern sich vielleicht noch an das eine oder andere seiner treffenden witzigen Worte. Ja, er hatte geradezu das Talent eines humoristischen Schriftstellers. Seine humoristischen Skizzen, die in der Lokalpresse jener Zeit erschienen sind, beweisen dies. Hätte er den Ehrgeiz dazu gehabt, er hätte ohne weiteres ein zweiter Wilhelm Busch werden können, sagte Alexander Tietz gelegentlich in Erinnerung an den Freund. Und wer ihn gehört hat, wenn er Kindern Märchen erzählte, dem bleibt dies unvergeßlich. Bedenkt man, daß Bruno Windhager auch ein tüchtiger Sportsmann war, so drängt sich einem unwillkürlich der Vergleich mit dem ,,homo universales" der italienischen Renaissance auf.
Professor Windhager hat seine Vorzüge nie in das helle Licht der Bewunderung gerückt. Er war zeit seines Lebens ein bescheidener Mann, umgänglich, ungezwungen, natürlich. Sein Wesen entsprach ganz den Worten Senecas: Plus esse quam viden! (Mehr sein als scheinen!)
,,Viele unter uns und auch viele unter denen, die ihn kannten, haben vielleicht nicht das volle Bewußtsein davon, was in diesem Manne unsere Schule, unser Ort, unser gesamtes heimatliches Geistesleben verloren haben", sagte Alexander Tietz in einem Nachruf auf den Freund während einer Schulfeier im Katholischen Heim in Reschitz. Im Bewußtsein der Gemeinschaft, der Bruno Windhager mit allen Fasern seines Wesens verbunden war, mag die Erinnerung an ihn heute verblaßt sein, aber die Wander- und Skisporttradition, die er einst entscheidend gefördert und geprägt hat, haben viele von
uns fortgeführt, mit der gleichen Freude und Liebe zu Natur und Heimat.

Hans Wania

Der Kunstfotograf Hermann Heel durch Ausstellung in Reschitz geehrt.
 

Schon in den 70er Jahren wollte Edmund Höfer in Bukarest eine Hermann-Heel-Ausstellung organisieren. Der Lehrling, nun selbst Meister, wollte seinem Meister ein Ehrenmal setzen. Aus verschiedensten Gründen ist es nicht dazu gekommen. Ich selbst wurde auf das unaufgearbeitete urreschitzaerische Erbe durch den Beitrag im ,,Banater Berglanddeutschen" aufmerksam, in welchem an Heel Moni erinnert wurde. Und der Gedanke, in der Stadt seines Wirkens eine Ausstellung zu
organisieren, lag nahe. Da solcherart Unterfangen von Finanzierungen abhängen und auch nicht im Alleingang zu machen sind, sprach ich Rudolf Gräf vom Museum des Banater Montangebietes darauf an. Wir begannen herumzuhören und zu sondieren, wer bereit wäre, uns dabei zu unterstützen.
Wie schon oft fanden wir auch diesmal bei der Rumänienvertreterin der Bonner Friedrich-Ebert- Stiftung, Frau Elke Sabiel, ein offenes Ohr für unser Projekt. Und im Reschitzaer Maschinenbau-werk (UCMR) bei Direktor Dan Obadau das Entgegenkommen, ohne welches, wie es sich zeigen sollte, jede Finanzierung kaum etwas genutzt hätte: er stellte uns das Werkslabor und einen Fotografen zur Verfügung.
Der wohl schwierigste Teil unseres Unterfangens war die Auswahl des (noch!) vorhandenen Archivmaterials. Ein Teil lagert im Museum des Montangebietes, ein Teil an Heels altem Arbeitsplatz, im Fotolabor des Maschinenbauwerks. Leider mußten wir an beiden Stellen konstatieren, daß unsachgemäße Lagerung und Manipulation vor allem den Fotoplatten sehr viel geschadet haben, daß manche Negative zu zerkratzt oder chemisch zersetzt waren und daß Unmengen Leica-Filme nicht mehr zu finden sind. Eine sachgerechte Restauration und anschließend eine adäquate Lagerung wären das Mindeste, was in memoriam Heel Moni getan werden muß! - Hinzu kommt, daß es sich in Rumänien als unmöglich erwies, mattes (also leicht retouchierbares) Schwarz-Weiß-Papier aufzutreiben: man produziert keines mehr! Auch mußten wir, je mehr wir uns in das Thema vertieften, feststellen, daß viel von dem, was als für Heel charakteristisch gilt, nicht mehr auffindbar ist. So fehlt das Portrait, das von Edmund Höfer als das beste bezeichnet wird, was Heel gemacht hat. Vielleicht liegt es am Künstler, der zu wenig Wert auf einmal Geleistetes gelegt haben soll, wie man uns mehrfach sagte, vielleicht an wenig liebevollen Nachfolgern im Labor, wo Heel sein Fotomaterial gelagert hat. Heel hat nie zu Hause gearbeitet, immer nur im Werkslabor. - Aus all diesen Gründen konnten viele Heel-Fotos, die manchem im Gedächtnis geblieben sind in der Ausstellung nicht gezeigt werden. Nach dem Sichten von etwa 700 - 800 noch existierenden Negativen - viele statische Fotos von Werkstücken, Routinearbeit eines Werkfotografen, also für eine Ausstellung wenig interessant - machte uns der Werkfotograf Franz Csonka im Labor, das noch von Heel eingerichtet worden war, die Probefotos. Er war ein Jahr lang Lehrling bei Monibacsi, kannte also den Meister und konnte uns viele Anekdoten über ihn und von ihm zum Besten geben. Von den etwa 150 Probefotos wurden in der Ausstellung letztlich rund 40 gezeigt. Darunter zwei Originale, von Hermann Heel gearbeitete Fotos.
Sicher ist das Ergebnis ein verbesserbares, aber es ist 33 Jahre nach seinem Tod die erste Heel- Ausstellung überhaupt.
Zudem ist es gelungen, einen wirklich ansprechenden Ausstellungskatalog in der Concordia-Druckerei der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien in Bukarest zu drucken; der mittels elektronischer Bearbeitung die Qualität der Fotos ins rechte Licht rückt. Für unseren Wunsch, ebendort ein Heel-Album herauszubringen, fehlt es (noch?) an Geld.
Dan Fonosch, der Chefredakteur der Fachzeitschrift ,,Fotografia & Video" und einziges rumänisches Mitglied der Europäischen Gesellschaft für Fotografiegeschichte, der die Vernissage am 23. Mai 1997 vornahm, würdigte denn auch die Ausstellung als eine restitutio an Reschitza und an die Kunst der Fotografie, die längst fällig war.
Die Anwesenheit einer großen Zahl von Honoratioren - Parlamentsmitglieder, verantwortliche Politiker des Banater Berglandes, der Reschitzaer Bürgermeister Ion Popa, der Wert darauf legte, Heel persönlich zu würdigen, Hochschullehrer aus Klausenburg, Bukarest, Temeswar - wäre vermutlich nicht nach dem Geschmack des Nietzscheanhängers, Naturliebhabers und feinfühligen Musikkenners Hermann Heel gewesen, aber sie waren ein beredtes Zeichen der Anerkennung für einen der so bescheidenen, aber markanten Reschitzaern, dem wir seinen Platz unter den Persönlichkeiten der Stadt zurückgeben wollten.
 

Die Ausstellung wird im Herbst im Bukarester deutschen ,,Friedrich-Schiller-Kulturhaus" zu sehen sein.

Werner Kremm
Der Autor ist Redakteur bei der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien" in Reschitz


 

Meine Verurteilung im Jahre 1974

von Richard Sattinger
 Geboren am 16.11.1928 in Temeschburg/Banat, wurde ich am 13.10.1974 in Reschitza alsChef- ingenieur und Produktionsleiter des Eisenhüttenwerks (C.S.R.) von einer Spezialbrigade des Sicherheitsdienstes (Securitate) aus Bukarest um 22.00 Uhr in meiner Wohnung verhaftet.
Vom 18.10.1974 bis 03.04.1976 war ich im teilweise unterirdisch angelegten Untersuchungsgefängnis der Securitate auf der Calea Rahovei inhaftiert. Von Mai 1975 bis September 1975 dauerten die Prozeßverhandlungen beim Militärgerichtshof Bukarest. Von Prozeßbeginn an stand das Urteil fest: Todesstrafe. Die Anklage lautete: Untergrabung der Volkswirtschaft (Art. 165 des Strafgesetzbuches - capitol contra securitätii statului).
Nach Protesten aus dem Ausland (hauptsächlich von Amnesty International) wurde das Urteil am 28.11.1975 mit 18 Jahren Haftstrafe festgelegt und das Strafmaß mit allen damit verbundenen Zulagen am 01.04.1976 vom Obersten Militärgerichtshof bestätigt. Am 03.04.1976 wurde ich über die Zwischenstation Sammelgefängnis in der Calea Alexandriei nach Aiud ins Gefängnis Zarka für politische Häftlinge gebracht. Am 21.07.1977 wurde ich in die Freiheit entlassen, nach Begnadigung durch Präsidialerlaß (dank den unermüdlichen Bemühungen meiner Familie, der Freunde im Ausland und hauptsächlich der vier Gruppen von Amnesty International).
Am 25.05.1984 durften meine Frau und ich nach sechs Jahren intensiver Bemühungen in die Bundesrepublik ausreisen, nachdem schon am 03.03.1982 meinen beiden Söhnen die Flucht über die Donau und nach Deutschland gelungen war
Heutiger Wohnort: 81373 München 70, Jägerwirtstraße 9, Telefon 089 / 7 25 94 09.

Zusätzliche Erklärungen:
Die wichtigsten Beweggründe und Umstände, die zu meiner Verhaftung und Verurteilung führten, waren folgende: Der großaufgezogene Sicherheitsapparat in Rumänien, sowie das Bestehen von vier territorialen Militärgerichtshöfen mit einem Obersten Militärgerichtshof mußten ihre Existenzberechtigung gegenüber der Partei- und Landesführung verdienen und zeitweise mit landesfeindlichen Elementen und Scheinprozessen eine Aktivität vorweisen. Die kaum verhehlten nationalistischen Tendenzen führten zu einer stetigen Entfernung der Nichtrumänen aus leitenden
Positionen in Industrie und Wirtschaft. Es war die Periode des ersten großen ,,Valutahungers" in Rumänien. Dabei wollten die Organe des Innenministeriums durch mehrere ähnliche Prozesse beweisen, daß auch sie auf ihre Art dem Lande Devisen bringen können. Es lief alles immer über die Aufopferung des eigenen Fachmannes zwecks Erpressung der ausländischen Firma. Ich arbeitete seit 1951 als Hochofeningenieur beim Reschitzaer Eisenhüttenwerk und habe mich vom Schichtingenieur bis zum Hochofenabteilungsleiter (1963) und Chefingenieur im Jahre 1968 emporgearbeitet.
In der Zeitspanne 1968-74 bekleidete ich den Posten des Chefingenieurs und Produktionsdirektors und vertrat das Werk in Verhandlungen und Gesprächen mit ausländischen Vertretern. Daß es dabei auch zu menschlichen Kontakten kam, z.B. mit dem Vertreter der österreichisch-amerikanischen Firma Radex, Dipl. Ing. Oskar Mauschitz, war fast unvermeidlich. Daß ich dem Sicherheitsdienst keine Berichte über meine persönlichen Gespräche mit den Auslandsvertretern übermittelte, wurde mir übelgenommen.
Während der Untersuchungshaft wurde mir dann bekannt, daß alle meine Gespräche im Dienst und in der Wohnung rund um die Uhr verfolgt und aufgezeichnet wurden. Stolz zeigten mir die Securitate- Untersuchungsrichter zwei Stapel (Höhe etwa 60 cm) mit registrierten Cassetten. So wurden meine Gespräche und Meinungen, in denen ich den unübertreffbaren Personenkult und die göttliche Verherrlichung des Landespräsidenten Nicolae Ceausescu und die Mißstände und Fehler der Partei und des Regimes kritisierte, alle erfaßt, aber beim Gerichtsverfahren nur angedeutet und vermieden, alles klar zur Sprache zu bringen.
Wenn ich kein Deutscher gewesen wäre, hätte es keine Verhaftung und keinen Prozeß gegeben! Wie aus den Untersuchungsakten hervorging, hatte Herr 0. Mauschitz, der seit dem Jahre 1961 Rumänien bereiste und feuerfeste Steine (Crommagnesitsteine) an Industriewerke lieferte, mindestens 15-20 ähnliche Kontakte und Bekanntschaften mit rumänischen Fachleuten aus Werken und dem Ministerium für Metallurgie, die aber Rumänen waren und darum zu keinem Gerichtsverfahren herangezogen wurden.
Bei meiner Verhaftung, als ich Herrn 0. Mauschitz zu einem Abendessen in meine Wohnung eingeladen hatte, hat eine achtköpfige Spezialmannschaft des Sicherheitsdienstes von 22.00 Uhr abends bis 7.00 Uhr morgens meine ganze Wohnung durchsucht und trotzdem, wie aus dem Verhaftungsprotokoll hervorgeht, kein Beweismaterial gefunden.
Die österreichische Botschaft in Bukarest, die Firmenleitung und Herr Mauschitz, wenig vertraut mit den Praktiken der Sicherheits-Mafia, haben den Kapitalfehler begangen, für die Freilassung des österreichischen Repräsentanten eine Summe von 250.000 Dollar zu hinterlegen (der Handel begann bei der Summe von 1 Million Dollar). Es ist zu bemerken, daß die Radex A.G. auch in der folgenden Zeit jährlich für 8-10 Millionen Dollar feuerfeste Steine an die rumänischen Hüttenwerke lieferte und, so schätze ich, die Kautionskosten schnellstens wieder einbrachte.
Um die 250.000 Dollar im Lande zu behalten und zu rechtfertigen, wurde eine von Nichtexperten (vom Sicherheitsdienst nominierte Kommission) erstellte Expertise aufgestellt, aufgrund derer mir der Prozeß gemacht wurde. Die verschiedenen Etappen der Gerichtsverhandlungen fanden alle vor dem Bukarester Militärgericht und dem Obersten Militärgerichtshof statt. In den Saal wurden nur Beamte des Sicherheitsdienstes und die allernächsten Familienmitglieder zugelassen, damit niemals etwas von den mir angelasteten, auch theoretisch unmöglichen Anklagen, an die Öffentlichkeit dringen sollte.
Mit meinen Anwälten (von meiner Frau verpflichtet) konnte ich das erste Gespräch für meine Verteidigung erst in der Phase der ersten Gerichtsverhandlung führen. Hier konnte ich ihnen zum ersten Mal demonstrieren, daß alle Anschuldigungen theoretische Konstruktionen waren und sie veranlassen, nicht für mildernde Umstände, sondern für Freilassung zu plädieren.
Entgegen allen Rechtsbegriffen hatte ich ein und denselben Staatsanwalt in der Untersuchungshaft, er war Ankläger beim Militärgericht und auch bei der Berufung beim Obersten Militärgerichtshof. Wir und auch unsere Anwälte konnten niemals eine schriftliche Rechtfertigung des Urteils bekommen, da es als geheime Staatssache gehandhabt wurde. Meine Verhaftung und Verurteilung wurde in keiner Sitzung im Rahmen des Werkes, in keiner Zeitungsnotiz, keiner Rundfunk- oder TV-Sendung in Rumänien jemals bekannt. Mein Fall erschien nur in Zeitungsberichten in Österreich und Frankreich und in wiederholten Sendungen bei Radio ,,Freies Europa".
Nachtrag:
Die Beweggründe, durch die es neben den offiziellen Beziehungen zu persönlichen Kontakten mit Dipl.lng. Oskar Mauschitz kam, waren folgende: da ich infolge meiner Stellung und Sprachkenntnisse in den meisten Fällen die Verhandlungen mit den ausländischen Gesprächspartnern führte, ersuchten mich im Herbst 1971 Generaldirektor Ing. Savu Constantin und der damalige Parteisekretär des Eisenhüttenwerkes Reschitza, Angheloiu, die Möglichkeit auszuloten, ob wir mit Hilfe eines unserer ausländischen Geschäftspartner eine humanitäre Hilfe für die l3jährige Tochter eines unserer Meister von der Erzsinteranlage erreichen könnten. Das Kind wurde in der Schule von einer Mitschülerin
beim Spielen an einem Auge schwer verletzt. Die notwendige Operation zur Rettung des Augenlichts war nach Untersuchungen der rumänischen Ärzte nur im Ausland möglich. Da solch ein Anliegen nicht im Rahmen des offiziellen Protokolls stattfinden konnte, kam es in den Jahren 1972-1974 zu drei oder vier Begegnungen bei mir zu Hause. Auf diese Bitte hat die Firma Radex, die uns schon über 15 Jahre Spezialgewölbesteine für die Stahlöfen lieferte, positiv reagiert und die Operation auf ihre Kosten (2.000 Dollar) im Herbst 1973 in Wien ermöglicht. Da ich mich verständlicherweise bei Herrn
Mauschitz verpflichtet fühlte, lud ich ihn auch am 13.10.1974 in meine Wohnung zum Abendessen ein. Da der Sicherheitsdienst schon über zwei Jahre alle meine Bewegungen beobachtete und verfolgte, verhaftete er uns an diesem Abend, überzeugt davon, uns irgendeiner Ungesetzmäßigkeit überführen zu können.
Von 23.00-7.00 Uhr haben die acht Personen der Spezialeinheit alles in der Wohnung durchwühlt und, wie aus dem Verhaftungsprotokoll ersichtlich, nichts Belastendes finden können. Obiges Motiv meiner persönlichen Beziehung zu Herrn Mauschitz wurde bei sämtlichen Verhören und Gerichts- verhandlungen absichtlich nie zur Kenntnis genommen, weil dadurch die Hauptanklagepunkt entkräftet gewesen wäre.
Folgende Personen haben in meinem Fall eine Rolle gespielt. Der Securitate-Chef des Kreises Karasch-Severin zur Zeit meiner Verhaftung war General Lintu Dan. Die Spezialabteilung (Grupul special de ancheta al securitatii Bucuresti) wurde von einem Obersten (oder General) Vasile geleitet (dem es viel Vergnügen bereitete, mich immer mit der Todesstrafe zu bedrohen). Soweit ich erfahren konnte, war er nach dem Sturz Ceausescus verhaftet worden. Die Untersuchungsrichter und die Securitateoffiziere, die mich 18 Monate lang verhört haben: Oberst Bistran, Major Gordan, Major Videcan. Zwischendurch wurde ich auch mal vier Tage lang vom stellvertretenden Securitate- Innenminister Doicaru verhört. Der Militärstaatsanwalt in allen Instanzen war Oberst Stefanescu. Der Vorsitzende des Militärgerichtshof Bukarest war Oberst Sitaru. Der Leiter des Gefängnisses von Aiud in den Jahren 1975-1977 war ein Oberst Oarga und für die Überwachung der politischen Häftlinge waren Major Lazar und Leutnant Biro verantwortlich.
 

Erinnerungen an die Haftzeit.

In der Zeitspanne 1966-84 wurden in Rumänien politische Häftlinge fast ausnahmslos während ihrer Haftzeit, nach der Verurteilung, im Gefängnis von Aiud untergebracht.
Nach dem neuen rumänischen Strafgesetz gelten alle politischen oppositionellen Handlungen als Verstoß gegen die Staatssicherheit (contra securitatii statului). So wird von offiziellen Stellen immer behauptet, es gibt in Rumänien keine politischen Häftlinge, sondern nur Personen, die sich gegen die Staatssicherheit schuldig gemacht haben. Die in dieser Zeitspanne wegen versuchter Grenzüberschreitungen verurteilten Personen waren nicht als politische Häftlinge eingestuft und wurden hauptsächlich im Gefängnis von Gherla, Temeschburg Timisoara) oder Craiova, zusammen mit den aus verschiedensten nichtpolitischen Gründen verurteilten Personen, in Haft gehalten.
Das Gefängnis von Aiud ist ein alter Gebäudekomplex mit mehreren Innenhöfen, umgeben von hohen Mauern, Sicherheitsanlagen und Wachttürmen. Aus dieser Anstalt ist in den letzten 20 Jahren kein gelungener Fluchtversuch bekannt. Die Zahl der Inhaftierten schwankte zwischen 800-2000, davon waren 30-120 politische Häftlinge. In den verschiedenen Gebäuden und Höfen waren Werkstätten untergebracht, in denen der Großteil der Häftlinge arbeitete. Das ganze war so organisiert, daß vom Ertrag dieser Arbeiten die ganzen Kosten der Verpflegung der Häftlinge, die Löhne des Wachpersonals, der Gefängnisleitung und praktisch die gesamte Regie des Gefängnisses gedeckt wurden. Die politischen Häftlinge waren in einem dritten Innenhof dieser Anstalt, einem langgestreckten alten Gebäude, genannt ,,Zarka", untergebracht. Dieser Bau (wahrscheinlich aus den Jahren 1820-40) besteht aus Keller, Erdgeschoß und Obergeschoß. Im Parterre und im 1. OG ist je ein durchlaufender Korridor, wo etwa 20-22 Zellen an einer Seite aneinandergereiht sind. Die fast meterdicken Wände sind feucht. Das Fenster, in jeder Zelle über mannshoch angebracht, ist mit zwei Reihen dicker Gitterstäbe und mit einem Drahtgeflecht versehen. Bis Anfang der 70er Jahre war das spärliche Tageslicht, das hereindringen konnte, durch Holzläden abgedunkelt. Nach der Besichtigung des Gefängnisses durch
den damaligen Innenminister Onescu, wurden auf Beschwerden der Insassen die Holzläden entfernt. In den Zellen, deren geschätzte Maße etwa 2.80 m Breite, 3.60 m Länge und 2.30 m Höhe aufwiesen, befanden sich als Ausstattung 4-6 Eisenbetten, doppelt oder dreifach übereinandergestapelt, ein kleiner Holztisch, eine kurze Holzbank, ein kleiner Eisenofen, zwei Holzbottiche ( 25 Liter Fassungsvermögen) mit Holzdeckel. Der eine war für die Aufbewahrung von Trinkwasser bestimmt, der andere diente als Toilette. Zweimal täglich (morgens um 6 Uhr und abends zwischen 18 und 20 Uhr) durfte man diese innerhalb von zehn Minuten im Wasch- und WC-Raum (ein und derselbe Raum, ohne Zwischenwand) entleeren, reinigen und mit frischem Wasser füllen. Dann mußte man sich auch in größter Eile waschen und seine Not verrichten. Es gab nur kaltes Wasser, das durch einen langen Blechtrog aufgefangen wurde. Einmal wöchentlich wurde man im Erdgeschoß in einen Raum mit Zementfußboden zum Duschen mit warmem Wasser geführt.
In den Zellen auf den Eisenbetten lagen je ein Strohsack, ein Leintuch, ein kleines Kissen und eine alte graue Decke. Bekleidet waren wir mit alten, abgetragenen, teilweise zerrissenen, gestreiften Häftlingshosen und -jacken, unter denen wir eigene Unterwäsche tragen durften. Schlafanzüge waren nicht erlaubt (ein Pyjama wurde als Luxus betrachtet). Man durfte nur in Unterwäsche schlafen. Die Nachtruhe von 22 Uhr abends bis 6 Uhr morgens wurde respektiert. Einmal im Monat wurde das Haar bis auf 2 mm Länge geschnitten. Unser ganzes Hab und Gut bestand aus einem Leinwandsack, in
dem die Zahnbürste, ein Stück Seife, eine Unterhose, ein Hemd, zwei Paar Strümpfe und ein Taschentuch sein durften, mehr nicht. Zweimal in der Woche wurden wir von einem aus unerer Mitte rasiert, der immer sofort alle Rasierutensilien an den Gefängniswärter zu übergeben hatte. Das Essen wurde dreimal am Tag ausgeteilt. In der Früh, um 6.30 Uhr eine Schale warmes Wasser mit Kaffee-Ersatz, etwa 50 g Marmelade und die 350 g Tagesration Brot (schwarzes). Mittags gab
es eine Suppe, etwa 150-200 g Maisfladen (für viele ungenießbar) und einen zweiten Gang. Das Essen wurde auf Aluminiumtellern verabreicht und mit Aluminiumlöffeln gegessen, die nach jeder Mahlzeit eingesammelt wurden. Messer und Gabel gab es nicht. Das Mittagessen bestand aus Suppe (abwechselnd aus Kartoffeln, Bohnen, Kraut, Tomaten zubereitet oder irgendeine undefinierbare braune Brühe) und einem zweiten Teller Essen, das jahrelang entweder aus Kartoffelgemüse oder aus in Wasser gekochten Graupen (Gerstengraupe) oder furchtbarem sauerem Kraut oder aus Gemüse, aus trockenen Bohnen oder leeren Makkaroni bestand. Der Suppe oder dem zweiten Gang waren dann öfters ein ranziges gelbes oder rötliches Fettöl beigemengt. Kleine Fleisch- oder Fettstücke waren fast nie zu bemerken. Wenn manchmal sich welche aus der Küche in die Eßbehälter verirrt hätten, wurden sie während des Transports von den für Diebstahl oder Verbrechen inhaftierten Häftlingen
herausgefischt. Das Abendessen bestand fast ausnahmslos aus in Wasser gekochten Gerstengraupen. An fünf oder sechs Abenden im Monat gab es zur Abwechslung in Wasser gekochten Grieß oder Reis ohne jede weitere Beigabe. Es gab nie frisches Gemüse, nie Obst, Milch, Käse, Wurst, Salat.
Vor den siebziger Jahren wurden auch die Zellen im Parterre als Unterkunft benutzt. Seitdem sind aber die meisten Zellen zu Werkstätten, die Kellerräume zu Abstellkammern umfunktioniert worden. Hier arbeiteten die meisten politischen Häftlinge unter primitiven Verhältnissen und mit rudimentärem Werkzeug bei der Herstellung von verschiedenen Holzkisten sowie aus Stahldraht gefertigten Spiralfedern für Betten- und Sofaeinsätze. Die Arbeitsnormen waren hier so hoch geschraubt, daß diese nur in ganz seltenen Fällen erfüllt werden konnten.
Die Häftlinge mit akademisch-technischer Ausbildung wurden in einem Entwurf- und Zeichenbüro beschäftigt und lieferten somit für alle Erzeugnisse der verschiedenen Werkstätten die technischen Zeichnungen und die Produktionsentwürfe. In diesem Raum arbeiteten in den meisten Jahren 5-8 Häftlinge. Dann gab es für die politischen Häftlinge, die technisch begabt waren, eine Elektrowerkstatt, in der auch 4-6 Häftlinge beschäftigt wurden. Man berechnete den arbeitenden Häftlingen ihr monatliches Einkommen. 10% davon wurde dem Häftling auf ein Sparbuch zurückgelegt. Dieses Geld erhielt er bei der Entlassung ausgezahlt. Die Arbeitszeit war von 7.00-13.00 Uhr und von 14.00-17.00 oder 18.00 Uhr festgesetzt. Viele von den Häftlingen, die im Entwurfsoder im Zeichenbüro sowie in der Elektrowerkstatt arbeiteten, forderten, daß sie bis 20.00 Uhr arbeiten dürften, um nicht in der Zelle herumzusitzen. Die Sonntage waren die schwersten Tage, da saß man untätig den ganzen Tag auf
dem eisernen Bettrand. Als Lektüre bekam man die offizielle Regierungszeitung Scinteia zu lesen und Bücher, die dem sozialistischen Aufbau der kommunistischen Gesellschaft dienlich erschienen.
Die anfänglichen Spaziergänge von dreißig Minuten, nachmittags im umzäunten Hof vor den Zellen, benutzten wir dazu, wenn noch Sonne war, den Oberkörper zu entblößen und kleine Turn- oder Laufübungen zu machen. Dies wurde uns dann verboten, und da wir uns von diesen Ertüchtigungs- übungen nicht abbringen ließen, wurde der obligatorische Spaziergang von 6.30 Uhr bis 7.00 Uhr angesetzt, wenn noch keine Sonne in den Hof schien.
In einer Zelle waren meistens vier Personen untergebracht. Zeitweise als Schikane auch sechs: dies führte dann besonders im Sommer zu Luftmangel und Schlafbeschwerden. Etwa alle zwei Monate wurden die Häftlinge in andere Zellen, mit anderen Mithäftlingen, verlegt. Das Zusammenleben auf engstem Raum war für viele eines der schwierigsten Probleme. Gehör- und Geruchssinn sind ständig überfordert. Es stauten sich Aggressionen an, welche aus den nichtigsten Gründen zum Ausbruch kommen konnten und zu schweren Konflikten führten.
Manchmal, am Samstagabend oder am Sonntagvormittag, seltener auch einmal abends während der Woche, wurde die Gruppe der politischen Häftlinge zu einem 60-90 Minuten dauernden Fernsehprogramm geführt. Wenn unsere Gruppe dabei von einem Hof in den anderen geführt wurde und sich einer Gruppe gewöhnlicher Sträflinge näherte, mußten sich diese auf Kommando von uns abwenden, um uns nicht zu sehen. Aus Spaß riefen sie dann alle im Chor ,,Achtung, die
Amerikaner kommen".
Der Zahl der im Urteil verhängten Haftjahre waren die Rechte der Häftlinge angepaßt, dem Prinzip
entsprechend: je länger die Strafe, umso weniger Begünstigungen. Am schwersten waren die politischen Häftlinge betroffen, die mehr als zehn Jahre Haftzeit verpaßt bekommen hatten. Diese Kategorie der ,,Staatsfeinde" durfte nur alle drei Monate eine Postkarte nach Hause schreiben oder von dort Post empfangen, ein 5 kg Lebensmittelpaket erhalten und einmal für die Dauer von 20 Minuten ein Gespräch mit einem Verwandten führen. Durch Überschreitung der Arbeitsnorm und vorbildliches Betragen konnte man monatlich zusätzlich eine der drei Begünstigungen von der Gefängnisleitung
genehmigt bekommen. Das Gefängnis hatte auch eine Krankenabteilung mit etwa 12-20 Betten, in der einem Arzt und einem Sanitäter aus den Reihen der Häftlinge die Betreuung oblag.
Von den politischen Häftlingen starben im Jahre 1974 Dipl. Ing. Lang an Herzversagen und 1977 Dipl. Ing. Ascher an Darmverwicklung. Schwere Krankheitsfälle wurden in der Regel nach Bukarest ins Zentralkrankenhaus für Häftlinge oder ins Gefängnis Jilava überführt. Es gab auch ein notdürftig eingerichtetes zahnärztliches Kabinett, in dem die dringendsten Fälle und einfache Zahnbehandlungen von einer Zahnärztin durchgeführt wurden. Diese Zahnärztin (Gattin des Gefängnisdirektors) war
selbst kränklich. Sie hat unter den gegebenen Bedingungen wirklich ihr Bestes geleistet und viele der gewesenen Häftlinge gedenken in Dankbarkeit ihrer aufopfernden Tätigkeit.
Nach der Entfernung des Innenministers Draghici waren jedwelche Tätlichkeiten und Folter bei politischen Häftlingen untersagt, und nur wenige Verstöße gegen diese Order wurden bekannt. Bei Nichteinhaltung der Gefängnisordnung konnte man schon aus den geringfügigsten Anlässen bestraft werden, durch den Verlust der oben erwähnten Begünstigungen, durch Arbeitsverbot, Einzelhaft, Karzer usw. Bei Karzerstrafe mußte man den ganzen Tag in einer Zelle mit Zementboden stehen und durfte sich nicht setzen. Am Abend wurde ein Holzbett (Pritsche) aus der Wand heruntergelassen, auf
dem man mit nur einer Decke als Ausstattung schlafen mußte. Als Essen bekam man jeden zweiten Tag nur Wasser und Brot und nur jeden zweiten Tag das normale, schon beschriebene Menü.
In den Jahren 1972-75 war eine ganze Gruppe von politischen Häftlingen (unter ihnen auch Dr. Ighisan) 1 Jahr lang unter diesen Bedingungen gehalten worden, weil man in den von Häftlingen gefertigten Verpackungskartons Nachrichten über die Gefängnisbedingungen an die in Freiheit lebenden Verwandten entdeckt hatte. Die meisten von diesen so Bestraften sind mit schweren gesundheitlichen Schäden belastet geblieben.
Einmal im Monat hielten der Gefängnisdirektor oder sein Stellvertreter Audienzen ab, bei denen man Beschwerden oder Bitten vorbringen konnte. Manche von den politischen Häftlingen versuchten dann, zu ihrem Recht zu kommen, indem sie verlangten, Schreibzeug und Papier zu erhalten, um eine Petition für ein Wiederaufnahmeverfahren in ihrem Falle an leitende Behörden des Landes zu richten. Andere wieder versuchten, ihre Strafe durch Gnadengesuche zu verkürzen.
Fast wöchentlich fanden sogenannte unerwartete Durchsuchungen statt, in der Zelle und am Arbeitsplatz. Bei dieser Prozedur mußte man sich gewöhnlich entkleiden, damit die sogenannte Leibesvisitation einfacher vonstatten ging. Man suchte hauptsächlich nach verstecktem Schreibzeug, nach Schriften, Werkzeug, Messern, Rasierzeug usw.
Die Sprechstunde mit den Verwandten konnte immer nur an bestimmten Tagen des Monats (Reihenfolge der Zugelassenen alphabetisch) stattfinden. Man wurde dann unter Bewachung in ein Gebäude nahe dem Eingangstor geführt. Während des Gesprächs war man von den Verwandten oder der Familie durch eine doppelte Trennwand, deren Unterteil gemauert war und deren Oberteil aus Drahtgeflecht bestand, getrennt. Im Mittelgang zwischen den beiden Trennwänden spazierte der wachhabende Unteroffizier auf und ab. Man konnte sich nur in Schulterhöhe aufwärts auf etwa 1,20 m
Distanz durch die beiden Drahtgeflechte sehen und sprechen.
Erwähnenswert wären noch die ständigen Schikanen, denen man von seiten der Gefangenenwärter (sie versahen ihren Dienst in drei Schichten) ausgesetzt war. Diese Leute hatten sowieso einen Minderwertigkeitskomplex uns Akademikern gegenüber und waren von diesem jahrelangen geist- und gemüttötenden Beruf sowie den ständigen Einschüchterungen ihrer Befehlshaber total deformiert.
So wollte ein jeder von ihnen den Strohsack und die Decke nach anderen geometrischen Formen ausgerichtet haben. Nach Laune und Gutdünken mußten die Zimmerdielen geschrubbt, das WC und der Duschraum gereinigt werden, man mußte zum Appell antreten.
Mit wieviel Fassung und Humor man so einen Gefängnisaufenthalt auch zu meistern weiß, man kommt doch nicht daran vorbei, viele bittere Stunden und Erniedrigungen zu durchleiden.

Auszug aus einem Faltblatt von Amnesty International, die von mir übermittelten Angaben sind in den Text eingeflossen (August 1985):
Die Sozialistische Republik Rumänien ist eines der Länder, in denen Menschen aus politischen Gründen verfolgt und zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt werden, während gleichzeitig die Existenz politischer Gefangener geleugnet wird. Kritik an staatlichen oder wirtschaftlichen Mißständen bzw. an der politischen Linie oder Führung, mißliebiges religiöses Engagement oder die Weitergabe von Informationen über Menschenrechtsverletzungen werden als schwere Verstöße gegen die Sicherheit des Staates eingestuft. Unter bestimmten Umständen werden auch Straftaten konstruiert, um eine
rechtliche Handhabe gegen Bürger zu finden, die international anerkannte Freiheitsrechte für sich beanspruchen, wie sie in Artikel 18 und 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen festgeschrieben sind: ,,Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit." ,,Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung."
Rumänien hat sich nicht nur durch die Ratifizierung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte zur Einhaltung dieser Freiheitsrechte verpflichtet, sondern sie auch als Grundrechte in der Verfassung von 1965 verankert: Artikel 28 garantiert allen Bürgern die Rede- und Meinungsfreiheit; nach Artikel 30 genießen sie Gewissensfreiheit und das Recht auf freie Religionsausübung.
Tatsächlich jedoch wird fast jeder Versuch, diese Bürgerrechte wahrzunehmen, als eine Handlung gewertet, die auf ,,die Veränderung der sozialistischen Gesellschaftsordnung" zielt bzw. ,,faschistischen oder antidemokratischen Charakter" hat und somit nach Artikel 29 der Verfassung strafbar ist. Anwendung findet in solchen Fällen der Sonderteil 1 des rumänischen Strafgesetzbuches von 1968 über ,,Straftaten gegen die Sicherheit des Staates", darunter folgende Artikel:
- Verrat durch Geheimnisübermittlung (Art. 157);
- Propaganda gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung (Art. 166); -
- Bildung einer Verschwörung (Art. 167)
Personen, die gewaltlos elementare Menschenrechte für sich in Anspruch genommen haben, können auf der Grundlage dieser Artikel zu 5 bis 15 Jahren bzw. 15 bis 20 Jahren Gefängnis verurteilt werden. Entgegen rechtsstaatlichen Grundsätzen sind Zivil-personen, denen Straftaten gegen die Sicherheit des Staates angelastet werden, in Rumänien der Militärgerichtsbarkeit unterworfen: Richter und Volksbeisitzer sind aktive Offiziere; das Ermittlungsverfahren wird von der staatlichen Geheimpolizei SECURITATE durchgeführt und von der Militärstaatsanwaltschaft überwacht. Als Beweise für die angeblich subversive Tätigkeit des Angeklagten werden am häufigsten Flugblätter, Plakate, Briefe, öffentliche Reden, Untergrundzeitschriften sowie Gespräche mit Ausländern herangezogen.
Wenn die Beweisführung auf Schwierigkeiten stößt, unternehmen Miliz (Polizei) und SECURITATE (Geheimpolizei) oft den Versuch, irgendwelche Straftaten zu konstruieren, wie z.B. Devisenvergehen, Unterschlagung, Besitz ausländischer Presseerzeugnisse oder pornographischer Schriften. In solchen Fällen werden politische Gefangene von den allgemeinen Gerichten abgeurteilt, es sei denn, der Straftatbestand der ,,Unterhöhlung der Volkswirtschaft" (Artikel 165) wird unterstellt.
In Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen gewaltlose politische Gefangene werden international anerkannte Rechtsgrundsätze schwerwiegend verletzt. Zahlreiche Aussagen belegen, daß die Verhörspezialisten der SECURITATE häufig Geständnisse zu erzwingen versuchen. Zu den Methoden, die Amnesty International in den letzten Jahren registriert hat, gehören z.B.: - brutale Prügel oder deren Androhung; - vollkommene Isolation von der Außenwelt, z.T. über mehrere Wochen; - Einschleusung von Spitzeln in die Zellen; - längere Haft ohne Tageslicht bei unzureichender Belüftung der Zellen; - Dauerverhöre von 7 Uhr morgens bis Mitternacht; - minuziöses Vergleichen sinnlos erscheinender ,,Erklärungen", die der Gefangene stundenlang niederschreiben und anschließend mehrere Tage hintereinander wortwörtlich wiederholen muß; - lügnerische Behauptungen über Scheidungsabsichten des Ehepartners bis hin zu dem Versuch, die Trennung zu erreichen (oft erfolgreich); - ausgesucht höfliche Gespräche, die dazu verleiten sollen, wenigstens eine ,,geringe Schuld" zuzugeben.
Prozesse gegen politische Gefangene finden fast ausnahmslos unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Angeklagte dürfen zwar einen Rechtsanwalt ihrer Wahl benennen, konnten ihn aber in den meisten Fällen, die Amnesty International bekanntgeworden sind, nur bei der Hauptverhandlung sehen. Und erst bei der Hauptverhandlung erhält der Anwalt laut Berichten Einblick in die Akten, was der rumänischen Prozeßordnung widerspricht. Informtionen über Prozesse, die oft nicht länger als 40 bis 50 Minuten, selten bis zu zwei Stunden dauerten - Berufungsverfahren werden manchmal in zehn
Minuten abgewickelt -,lassen den Schluß zu, daß die Urteile in vielen Fällen bereits im voraus feststehen.

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