von Marius Barbu
Unserem Verstand folgend, haben wir Menschen uns daran gewöhnt,
zu rechnen und zu zählen, zu klassifizieren und zu kategorisieren
und schließlich zu bewerten. Selbst die Zeit, das Reich des Gottes
Cronos, nehmen wir davon nicht aus. Wir zählen Sekunden, Minuten,
Stunden, Tage usw., um schließlich 1000 Jahre zu einem Millenium
zusammenzufassen, und das obwohl uns Menschen ein begrenzter Lebenszeitraum
von nicht einmal 100 Jahren gewährt wird.
Und so sind wir zählend im Jahre 1999 angelangt, und damit am
Ende eines Jahrtausends. Da reizt es, den Blick über die Zeitgrenze
zu wagen auf das neue Jahrtausend, und ich frage mich: Was wird es der
Menschheit bringen? Die Antwort auf die Frage hängt auch davon ab,
ob es uns Menschen gelingen wird auszubrechen aus dem Ich, in dem wir uns
selbst gefangen halten, ob es uns gelingen wird, das egozentrische Prinzip
"Nach mir die Sintflut!" außer Kraft zu setzen, aus Liebe zu unseren
Nachkommen, um auch sie teilhaben zu lassen an dem Wunder, das da heißt
LEBEN.
Die zurückliegenden tausend Jahre haben der Menschheit Persönlichkeiten
geschenkt, deren Entdeckungen ihr Dasein revolutioniert haben. Leider haben
die Nachfahren des homo errectus sich nie damit zufrieden gegeben, ihre
Errungenschaften nur zu friedlichen Zwecken zu nutzen. So wie sie einst
den Speer nicht nur zur Jagd nutzten, sondern auch in kriegerischen Auseinandersetzungen
mit ihresgleichen, so haben sich in unserem Jahrhundert die Erkenntnisse
Rutherfords und Bohrs über das Atom, gefolgt von der Entdeckung der
Kernspaltung durch Hahn und der atomaren Kettenreaktion durch Fermi materialisiert
in jenem "little boy", der den Städten Hiroshima und Nagasaki und
deren Bewohner Tod und Verderben brachte. Dessenungeachtet experimentiert
man in der Wüste von Nevada, in Kasachstan, der Wüste Gobi, den
Mururoa-Inseln im Stillen Ozean weiter mit der atomaren Zerstörungskraft,
als wüßte man nichts von der Gefährdung, der man unseren
Planeten dadurch aussetzt.
Warum? Warum verwandelt sich der Mensch aus Dr.Jekill in Mr. Hyde?
Warum führt er Kriege, die Tod und Zerstörung über seinesgleichen
bringen? Auch am Ende dieses Jahrtausends ziehen sich Grenzen als Trennlinien
über die Erde, und weil die Menschen verschiedene Sprachen sprechen,
verschiedene Hautfarben haben, sich zu unterschiedlichen Religionen bekennen
- obwohl der Allmächtige doch nur einer für alle sein kann, -
lassen sie sich von diesen Unterschieden zur primären und zugleich
primitiven Machtfrage verleiten: Wer von uns ist der Stärkere? Wer
kann den anderen beherrschen?
Macht! Herrschen und unterdrücken! Wen wundert es da noch, daß
bisher jedes Jahrtausend reich war an Kriegen zwischen Völkern. Ein
selbstmörderischer Amoklauf der Menschheit? War es das, was Visionäre
wie Nostradamus einen "Weltuntergang" prophezeien ließ?
Ich möchte nicht verschweigen, daß ich diese Zeilen schreibe
unter dem Eindruck eines neuen, schrecklichen Krieges, der mich zutiefst
beunruhigt. Wieder einmal wird ein Volk Opfer des Größenwahns,
der Herrschsucht. Diesmal ist es das slawische Volk der Serben, das den
Balkan erneut zum Kriegsschauplatz werden ließ. Vor hunderten von
Jahren haben die Vorfahren derer, die sich heute bekriegen, unter dem serbischen
Kneaz Lazar gemeinsam auf dem Kosovo polje, dem Amselfeld, gegen die türkische
Übermacht gekämpft. Sechshundert Jahre später wütet
Haß zwischen ihren Nachkommen!
Die Bilder dieses Krieges vor Augen, frage ich mich: Was möchte
ich den Menschen wünschen, die das nächste Jahrtausend bevölkern
werden? Möge sich tief einprägen in ihre Herzen und Köpfe,
daß ihrer aller Heimat die ERDE ist und daß sie in dieser Heimat
alle nur noch eines sind, und zwar MENSCH.
Als Geschenk der Götter hatte Pandora einst den Menschen all die
schrecklichen Übel in einem Gefäß gebracht, erzählt
eine griechische Sage. Als die schöne Jungfrau den Deckel der Büchse
hob, entflohen sie und verbreiteten sich auf der ganzen Erde. Nur ein Geschenk
blieb im Gefäß, weil Pandora auf Geheiß der Götter
den Deckel zuwarf, ehe es entfliehen konnte. Ich trage sie bei mir, die
Büchse der Pandora, mit diesem letzten, kostbaren Geschenk. Es ist
die HOFFNUNG!