Abschied vom Semenik
von Marius Barbu

Nichts vom Zauber der Stille, den ich in meinen Erinnerungen an die Wanderungen durch unsere heimatliche Bergwelt zu beschreiben versucht habe, hat Werner Henn am Franzdorfer Stausee wiedergefunden. Stattdessen verstopfte Straßen, verbaute Landschaft, lärmende Menschen. War das auch damals schon anders, als es die Bilder in meinem Gedächtnis festgehalten haben? Vielleicht hat es ja auch nur das behalten, was der Seele gut tut. Wieviel ist Wirklichkeit, wieviel Phantasie in unseren Erinnerungen an die Vergangenheit? Danke Werner, daß du mich daran erinnert hast.
Und doch muß es auch heute in den ausgedehnten Wäldern der Semenik-Berge noch Orte der Stille geben. Verlassen wir also den Stausee. Wandern wir an der Orivaia vorbei auf der alten StEG-Straße weiter zur Villa Klaus. Die Fischzucht hier mag noch den einen oder anderen Feinschmecker anziehen. Aber dann verlassen wir die Straße, biegen nach links ab in einen Waldweg, der sanft ansteigend zu einem Ort führt mit dem seltsam klingenden Namen eines Windes: Cosava. Der Weg dürfte heute noch ebenso schmal und steinig sein wie damals, der Wald, der den Weg säumt, dicht und geheimnisvoll wie eh und je. Hierher verirrt sich keiner der motorisierten Stauseetouristen.
Es ist Ende Oktober. Unsere Schuhe versinken im feuchten braunen Laubteppich. Es ist schon recht kühl im Wald. Wir beschleunigen unsere Schritte. Das wärmt. Es ist die Zeit der Buchenschwämme. Daheim im Bergland haben unsere tüchtigen Hausfrauen sie eingelegt - ein köstlicher Salat für den Winter. Ich habe auch hier schon welchen gegessen, aus dem Supermarkt. Aber dem fehlte etwas. Zuchtpilze eben. Die Pilze, die wir selbst pflückten, rochen nach Erde, nach Wald, nach den Sonnenstrahlen, die durch das Laubdach schienen. Manch einer erzählte von den Unmengen, die er gefunden hatte. Meine Ausbeute an Buchenschwammerln war nie reich in der Cosava. Aber die Freude darüber war jedesmal groß.
Einmal begegneten wir am Waldrand Herrn Wingert. Der schon ältere, kräftige Mann wanderte allein durch die Gegend, er brauchte dazu keine Gesellschaft. Als wir ihm unsere paar Pilze zeigten, meinte er: ,,Das braucht euch nicht zu wundern. Heute begegnet man im Wald mehr Menschen als Pilzen.” Sagte es und ging seines Weges.
Eine milde Herbstsonne begleitete uns auf den Almwiesen des Nedei. Vom Gipfel schweift der Blick weit hinaus über das Land bis hin zu den Aninaer Bergern.Unser Weg führt uns weiter auf den Bergsattel, der die beiden Gipfel Nedei und Gozna verbindet. Von weitem ist das große eiserne Kreuz zu sehen. Das Wasser im Adlerbad ist glasklar und eisig. Wir halten an. Ein abgelegener, stiller Ort in der Weite der Bergwiese. Nur einmal im Jahr wird es hier laut. Zu Sfintu Ilie, wenn die Rumänen aus den Dörfern am Fuße des Berges hochkommen, hier beten, ins Wasser steigen und Münzen hineinwerfen, als könnte man mit Geld die Gunst des Heiligen erkaufen.
Als wir zum Gozna hochsteigen, kommt uns eine lärmende Gruppe junger Leute entgegen. die Frauen in eleganten Kleidern und in Stöckelschuhen über den steinigen Weg balancierend, die Männer in Anzug und Krawatte, als wär eine Bergwanderung eine Party, zumal einer einen großen Kassettenrecorder dabei hatte, aus dem Schlagermusik dröhnte. Als sie uns sahen - in Wanderschuhen und mit Rucksack. sagte einer der Männer: ,Schaut euch die an! Das sind Außerirdische!‘ Darauf antwortete unser Freund Kopetzky schlagfertig: ,,Wie hast du das nur so schnell bemerkt, daß wir aus verschiedenen Welten kommen?”
Es war mein letzter Ausflug auf den Semenik.

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