Nichts vom Zauber der Stille, den ich in meinen Erinnerungen an die
Wanderungen durch unsere heimatliche Bergwelt zu beschreiben versucht habe,
hat Werner Henn am Franzdorfer Stausee wiedergefunden. Stattdessen verstopfte
Straßen, verbaute Landschaft, lärmende Menschen. War das auch
damals schon anders, als es die Bilder in meinem Gedächtnis festgehalten
haben? Vielleicht hat es ja auch nur das behalten, was der Seele gut tut.
Wieviel ist Wirklichkeit, wieviel Phantasie in unseren Erinnerungen an
die Vergangenheit? Danke Werner, daß du mich daran erinnert hast.
Und doch muß es auch heute in den ausgedehnten Wäldern der
Semenik-Berge noch Orte der Stille geben. Verlassen wir also den Stausee.
Wandern wir an der Orivaia vorbei auf der alten StEG-Straße weiter
zur Villa Klaus. Die Fischzucht hier mag noch den einen oder anderen Feinschmecker
anziehen. Aber dann verlassen wir die Straße, biegen nach links ab
in einen Waldweg, der sanft ansteigend zu einem Ort führt mit dem
seltsam klingenden Namen eines Windes: Cosava. Der Weg dürfte heute
noch ebenso schmal und steinig sein wie damals, der Wald, der den Weg säumt,
dicht und geheimnisvoll wie eh und je. Hierher verirrt sich keiner der
motorisierten Stauseetouristen.
Es ist Ende Oktober. Unsere Schuhe versinken im feuchten braunen Laubteppich.
Es ist schon recht kühl im Wald. Wir beschleunigen unsere Schritte.
Das wärmt. Es ist die Zeit der Buchenschwämme. Daheim im Bergland
haben unsere tüchtigen Hausfrauen sie eingelegt - ein köstlicher
Salat für den Winter. Ich habe auch hier schon welchen gegessen, aus
dem Supermarkt. Aber dem fehlte etwas. Zuchtpilze eben. Die Pilze, die
wir selbst pflückten, rochen nach Erde, nach Wald, nach den Sonnenstrahlen,
die durch das Laubdach schienen. Manch einer erzählte von den Unmengen,
die er gefunden hatte. Meine Ausbeute an Buchenschwammerln war nie reich
in der Cosava. Aber die Freude darüber war jedesmal groß.
Einmal begegneten wir am Waldrand Herrn Wingert. Der schon ältere,
kräftige Mann wanderte allein durch die Gegend, er brauchte dazu keine
Gesellschaft. Als wir ihm unsere paar Pilze zeigten, meinte er: ,,Das braucht
euch nicht zu wundern. Heute begegnet man im Wald mehr Menschen als Pilzen.”
Sagte es und ging seines Weges.
Eine milde Herbstsonne begleitete uns auf den Almwiesen des Nedei.
Vom Gipfel schweift der Blick weit hinaus über das Land bis hin zu
den Aninaer Bergern.Unser
Weg führt uns weiter auf den Bergsattel, der die beiden Gipfel Nedei
und Gozna verbindet. Von weitem ist das große eiserne Kreuz zu sehen.
Das Wasser im Adlerbad ist glasklar und eisig. Wir halten an. Ein abgelegener,
stiller Ort in der Weite der Bergwiese. Nur einmal im Jahr wird es hier
laut. Zu Sfintu Ilie, wenn die Rumänen aus den Dörfern am Fuße
des Berges hochkommen, hier beten, ins Wasser steigen und Münzen hineinwerfen,
als könnte man mit Geld die Gunst des Heiligen erkaufen.
Als wir zum Gozna hochsteigen, kommt uns eine lärmende Gruppe
junger Leute entgegen. die Frauen in eleganten Kleidern und in Stöckelschuhen
über den steinigen Weg balancierend, die Männer in Anzug und
Krawatte, als wär eine Bergwanderung eine Party, zumal einer einen
großen Kassettenrecorder dabei hatte, aus dem Schlagermusik dröhnte.
Als sie uns sahen - in Wanderschuhen und mit Rucksack. sagte einer der
Männer: ,Schaut euch die an! Das sind Außerirdische!‘ Darauf
antwortete unser Freund Kopetzky schlagfertig: ,,Wie hast du das nur so
schnell bemerkt, daß wir aus verschiedenen Welten kommen?”
Es war mein letzter Ausflug auf den Semenik.