Sommerurlaub 1998
von Werner Henn
Teil 2

Hinter den sieben Bergen...

Nachdem wir unser Zelt am Cinis See abgebaut hatten, beschlossen wir, nach Osten weiterzureisen, durchs transsilvanische Gruselland Draculas. Doch die Vampire sowie die von bösen Räubern und Geistern bewohnten Urwälder suchten wir vergebens. Wahrscheinlich hat sogar sie Ceausescus Wunderwirtschaft aus dem Land vertrieben. Zurückgeblieben sind Orte, deren Namen zwar gut klingen, die aber nicht so aussehen. Ob Mühlbach, Grossau, Hermannstadt, Schäßburg, Birthälm oder Honigberg, alle haben sie eines gemeinsam, sie sehen auch tagsüber aus wie unsere Fußgängerzonen nach Ladenschluß: verlassen, grau, unwirtlich. Die wenigen Menschen, die durch die verwinkelten mittelalterlichen Straßen huschen, haben einander nichts mehr zu erzählen. Ihre Kinder, Freunde, Verwandten und Bekannten sind schon längst über die sieben Berge Siebenbürgens in den Westen gezogen. Es ist schön in Siebenbürgen, wenn man als Tourist kommt und wieder gehen kann.
Auch wir ziehen weiter, besuchen die herrlichen Orte der Südkarpaten rund ums königliche Schloß Peles, fahren noch einmal in Richtung Norden, nach Kronstadt, der heimlichen Hauptstadt Siebenbürgens, überqueren die Ostkarpaten in Richtung Dobrudscha. Wir verlassen den majestätischen Bogen der Karpaten. Die Landschaft ändert sich, wird flach. Wir nähern uns der Lebensader Osteuropas, der Donau. Im Schwarzwald, bei uns zuhause um die Ecke, entspringt sie als kleines Bächlein. Über mehrere tausend Kilometer wird sie zum Strom, der Freud und Leid mit den Anrainerstaaten teilt, die Geschichten ihrer Völker sammelt, und bevor er sich mit den dunklen Fluten des Schwarzen Meeres vereint, seine schwere Last im Donaudelta ablegt. Hier schlagen wir unser Zelt auf am Rande einer Lagune und lauschen den Geschichten, die der alte Danubiüs abends den Vögeln erzählt. Von der idyllischen Stille einer fast unberührten Natur zieht es uns nach Süden zu den bekannten Badeorten an der Schwarzmeerküste. Menschenmassen, stinkende Blechkisten auf vier Rädern sowie Unmengen an Müll vertreiben uns von der rumänischen ,,Costa del sol” weiter nach Süden in Richtung Bulgarien. Wir kommen durch bitterarme Gegenden, wie wir sie nur in Afrika oder Zentralasien vermutet hätten. Irgendwie drückt das auf die Urlaubsstimmung. Genug gesehen vom Hinterland, finden wir. Die Hauptstadt lockt. Wegen ihres besonderen Flairs einst ,,Paris des Ostens” genannt, treffen wir außer der Hitze des Baragan nicht viel Ansprechendes. Die einstige Lebensader der Stadt, die Leipziger Straße, besser bekannt als Lipscani, ist eine trostlose Ansammlung von verwahrlosten alten Gewerbehäusern. Die ehemaligen Besitzer enteignet, die Händler vertrieben. Man brauchte Platz für weitere architektonische Großtaten des Titanen der Titanen. Heute haben Obdachlose und Zigeuner die leerstehenden Wohnungen besetzt. Auch neun Jahre nach Ceausescu weht dessen Geist immer noch durch die zubetonierte, verschandelte Altstadt. Schattige Cafés, schnucklige Gaststätten oder gar Biergärten - Fehlanzeige. Wir sitzen in einem lauten und staubigen Lokal direkt an der sechsspurigen Hauptverkehrsstraße und verzehren die obligate Pizza. Was sonst? Da höre ich aus Kindermund: ,,Papa, komm laß uns zum Franzdorfer See fahren und zu Rolly!” Meine Frau nickt zustimmend: ,,Ja, laß uns weiterfahren. Ich freu mich schon aufs Banat!” Und das nicht von mir, sondern aus den Kehlen von drei geborenen Bundesbürgern! Heimlich hatte auch ich mich danach gesehnt, nach der vertrauten und heilen Umgebung meiner Heimatstadt Reschitz. Ich wollte mir den nostalgischen Anfall nur nicht eingestehen. Wir verlassen unsere vornehme Herberge, den Hanul lul Manuc, um wieder mit den eigenen vier Zeltwänden vorlieb zu nehmen.Die Donau am Kasan-Pass, Foto W.Henn
Ein Stein, so groß wie die versunkene Insel Ada-Khaleh, fällt mir vom Herzen, als ich das silberne Band der Donau im Gegenlicht erkenne. Am Eisernen Tor fühle ich mich bereits wie zuhause. Wir beschließen, dem Fluß zu folgen und verlassen bei Orschowa die Europastraße 94, um nach Neumoldowa zu gelangen. Die schmale, in den Fels gehauene Straße hat es in sich. Schon der römische Kaiser Traian nutzte sie, um seine Legionen gegen die widerspenstigen Daker in verlustreiche Kriege zu führen. Über Jahrhunderte einte und trennte der Fluß die Völker der Gegend in Furcht vor Angreifern. Wandervölker, Türken, Österreicher, Ungarn, Serben, Kroaten, Rumänen, sie alle tränkten diese Erde mit dem Blut unschuldiger Einwohner und verreckter Krieger. Vor zehn Jahren noch war dieses Gebiet eine militärische Sperrzone, ein Todesstreifen, ähnlich der deutsch-deutschen Grenze. Was für ein Gefühl, jetzt hier frei herumfahren zu können! Beeindruckend der grandiose Kasan-Paß. Ich stelle unser Zelt auf einer kleinen Landzunge auf, direkt am Donauufer, und erzähle meinen mit großen, staunenden Augen zuhörenden Kindern von der Zeit, als hier Menschen erschossen wurden, nur weil sie den Weg in die Freiheit suchten. Die Sonne versinkt hinter den steilen Klippen, wirft gespenstische Schatten auf die Wellen des Stroms und läßt uns wie stumme Statisten verharren. Plötzlich unterbricht die Stimme meines Sohnes die Stille: ,,Papa, was ist da drüben für ein Land?” ,,Serbien”, erwiderte ich. ,,Ist das das Serbien von dem in der Tagesschau die Rede ist? Wo sich die Leute umbringen?” will meine Tochter wissen. In die Realität zurückgeholt, erwidere ich: ,,Ja, leider, das ist es”. In Gedanken versunken, verkroch ich mich ins Zelt, als meine Frau mich kurz ansah und meinte: ,,Gib doch den Grenzlern da hinten etwas von unserem Schnaps ab”. Ach ja, die gab es ja noch. Aber anders als früher zielen ihre Gewehre nun nicht mehr auf die Menschen, die es ans Donauufer zieht. Die Burschen bedankten sich erfreut und versicherten uns, auf unser Nachtlager besonders gut aufzupassen, damit auch kein Schmuggler unsere Nachtruhe störe. Derart beschützt, sanken wir in einen tiefen, festen Schlaf.

Fortsetzung folgt.

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