Zwei Banater erzählen über den Zweiten Weltkrieg

Hin und wieder bringt die Post ein Buch in die Redaktion, verbunden mit der Bitte des Verlags oder des Autors, es in unserer Verbandszeitung vorzustellen. Es ist gut, daß Bücher von Banatern über das Banat geschrieben und gedruckt werden. Und es ist eine der Aufgaben landsmannschaftlicher Presse, diese Bücher vorzustellen und für sie zu werben. Schließlich fügen sie alle sich wie Teile eines Puzzels zusammen zu einem großen Bild unserer über 200jährigen Existenz im Banat, ein Bild, das uns zeigt, was  war, woher wir kommen und mitunter auch, warum etwas so geschehen ist und nicht anders.
In diesem Jahr sind es 55 Jahre her seit jenem 23.August 1944, der für Rumänien, insbesondere auch für die Deutschen Rumäniens ein historisches Datum ist, weil danach für sie  alles anders wurde, als es vorher war, weil sie danach nicht nur entrechtet, enteignet, deportiert wurden, sondern letztlich auch nach und nach ausgesiedelt sind, womit wir einen Schlußpunkt gesetzt haben hinter unsere Geschichte als Banater Deutsche, um zu  banatstämmigen Deutschen zu werden. Prof. Elmar Lechner von der Universität Klagenfurt macht den Zusammenhang zwischen der Politik Hitlerdeutschlands einerseits und Flucht, Vertreibung, Aussiedlung andererseits  deutlich, wenn er sagt: "So hat das nationalsozialistische Deutschland, wenn man es sarkastisch, aber doch realistisch sagen möchte, zuerst absichtlich die Judenfrage im Großteil Europas und dann unabsichtlich die Deutschenfrage im Südosten Europas gelöst."
Wir Rumäniendeutschen sehen uns bevorzugt als Opfer -  der größenwahnsinnigen Politik Hitlers, der rumänischen kommunistischen Diktatur. Das waren wir ohne Zweifel. Aber waren wir nicht auch Opfer unserer selbst? Opfer unserer Wunschvorstellung dazuzugehören zu den siegreichen Deutschen. Opfer unserer Angepaßtheit sowohl in Zeiten des Nationalsozialismus wie auch in denen des Kommunismus. Die Frage stellt sich der Leser unwillkürlich bei der Lektüre zweier Bücher, in der zwei Banater erzählen, was sie selbst erlebt haben.
"Wege des Schicksals" von Friedrich Bolaritsch, der aus Orschowa stammt, und "Feldpost" von Robert Schiff, einem Temeswarer, eignen sich für eine Rückbesinnung und eine Ursachenforschung nach den Anfängen jener Entwicklung, die letztlich in die Aussiedlung gemündet ist. In manchem sind sich die Bücher ähnlich. Beide erzählen authentische Lebensgeschichten aus der Perspektive des kleinen Mannes. Beide erzählen über die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Beide vermitteln das Gefühl der Ohnmacht, des völligen Ausgeliefertseins der kleinen Leute an die große Politik, die sie nicht durchschauen, geschweige denn beeinflussen können. Das Buch von Bolaritsch ist in gewisser Weise eine Ergänzung zu dem von Schiff. Schiff hatte zwei Brüder, von denen sich der Jüngere sechzehnjährig als Freiwilliger zur SS gemeldet hat und gefallen ist. Von diesem Bruder erzählt Schiff wenig. Bolaritsch könnte dieser jüngere Bruder gewesen sein, denn er ist wie jener freiwillig in den Krieg gezogen. "Ich hatte mich im stillen dazu entschlossen, Soldat zu werden," verrät er dem Leser, "und meine einzige Angst war, daß der Krieg zu Ende gehen würde, ohne daß ich daran teilgenommen hätte." Geliebt hat Schiff den älteren Bruder, der als Wehrpflichtiger in den Krieg ziehen mußte, ohne jegliche Kriegsbegeisterung.  Schiff und weit mehr noch Bolaritsch erzählen von den Schrecken des Krieges. Das verbindet die ansonsten sehr unterschiedlichen Bücher.
Schiff erzählt aus der Sicht des heranwachsenden Jungen, der er Anfang der vierziger Jahre war, erzählt über das Temeswarer Vorstadtviertel, in dem er groß geworden ist. Anhand der Feldpostbriefe seines älteren Bruders ruft er Erinnerungen ab an Menschen, an das, was ihnen in jenen Jahren des Krieges wiederfahren ist. "Je länger ich mich mit den Briefen beschäftige, umso deutlicher wird die Erinnerung: Sie läßt Gegenwärtiges schrumpfen, und der Wunsch, das längst Vergangene erneut zu durchleben, wird übermächtig in mir. Wie war das doch damals?" Und dann taucht Schiff ein in dieses Damals, schildert es anschaulich und lebendig.
Bolaritsch ist ein kranker Mann um die 60, als er die Geschichte seines Lebens niederzuschreiben beginnt. "Ich habe jetzt unendlich viel Zeit, über die Vergangenheit und mein bisheriges Leben nachzudenken", schreibt er. Krieg, Gefangenschaft, Gefängnis, Deportation in den Baragan haben aus ihm einen verbitterten Mann gemacht, der sich  sein Leid von der Seele schreibt, ohne darüber zu klagen, hart auch gegen sich selbst. Er starb 1991, ehe er seine Geschichte zu Ende erzählen konnte. Hinterlassen hat er Aufzeichnungen über seine Kindheit in Orschowa, wo damals noch viele Deutsche lebten,   und über seine Jugend als Freiwilliger der SS. Er führt seine Leser auf Kriegsschauplätze in Griechenland, ins Banat, nach Ungarn und schließlich in die Kriegsgefangenschaft.
Schiff unternimmt nicht den Versuch, die Entwicklung der Ereignisse zu erklären. Er schreibt "Geschichte aus der Froschperspektive. Da fehlt zwar der Überblick, dafür sieht man aber die Dinge so, wie sie sind." Und das tut dem Buch gut.
Bolaritsch liefert  mehrfach  Erklärungen, was dem Buch schadet, denn er hat kaum mehr als die Vorurteile der "ewig Gestrigen" zu bieten, wie etwa wenn er die Kriegserklärung der Vereinigten Staaten an Deutschland so kommentiert: "Die antideutsche Hetze hatte Erfolg wie auch im Ersten Weltkrieg..."
Dem sprachgewandten Erzähler Schiff folgt der Leser gern auf seinem Weg in die Vergangenheit. Sein Blick zurück ist melancholisch, aber klar. Die Älteren unter uns erinnert er an die längst entschwundene Welt ihrer Jugend. Den Jüngeren vermittelt er eine anschauliche Vorstellung vom vorkommunistischen Banat der kleinen Leute.
Bolaritsch polarisiert seine Leserschaft, die einen dürften sich weitgehend bestätigt, die anderen auf die Barrikaden getrieben fühlen, denn hier schreibt einer, der zwar kein Hehl daraus macht, daß er in seiner Menschenwürde zutiefst verletzt wurde, der aber letztendlich nichts aus der Geschichte gelernt zu haben scheint. Für ihn sind "ethische Begriffe wie Ehre, Treue, Opferbereitschaft" Werte an sich, unabhängig von der Situation, in der sie eingefordert werden. Zuzugeben, daß er sich in seiner jugendlichen Begeisterung damit hat mißbrauchen lassen, dazu kann sich Bolaritsch nicht durchringen. So macht das Buch deutlich, daß jene Zeit Wunden geschlagen hat, die nie ganz heilen, die immer wieder aufbrechen und eitern können
Unwillkürlich stellt man sich nach der Lektüre der beiden Bücher die heikle, immer noch aktuelle Frage: Sind wir Menschen - ob Mächtige oder Ohnmächtige - überhaupt imstande aus der Geschichte zu lernen? Ist es nicht vielmehr so, daß die Mächtigen ihre Machtspiele ewig weiterspielen und die kleinen Leute die Zeche dafür immer wieder bezahlen, schlimmstenfalls mit ihrem Leben? Und daß diesen sogenannten kleinen Leuten  letztendlich gar nichts anderes übrig bleibt, als sich mit den bestehenden Verhältnissen zu arrangieren, um zu überleben? In seiner Fernsehsendung "Zur Person" stellt der engagierte, kritische Journalist Günther Gauss seinen Gesprächspartnern, prominenten Zeitgenossen, immer wieder die Frage: Hat der alte Adam, hat die alte Eva ein Menschenrecht auf Anpassung? Bolaritsch beantwortet diese Frage eindeutig mit Ja, Schiff indirekt wohl auch, vielleicht könnte man ihm auch ein Jaein zugestehen.  Bolaritsch sieht gar keine andere Möglichkeit, "denn der Soldat muß gehorchen und nicht philosophieren". Und wenn er dann doch einmal philosophiert, kommt dabei nichts anderes heraus, weil er nur feststellt, "daß ein Einzelschicksal wie das meinige mit dem eines Sandkorns in der Wüste gleichgestellt werden kann".
Das Buch von Schiff leistet Trauerarbeit. Es endet 40 Jahre nach Kriegsende am Grab des  geliebten Bruders in der Normandie.
Das Buch von Bolaritsch ist der Versuch einer Rechtfertigung. Daß bei den deutschen Soldaten selbst im größten Schlamassel "Disziplin und Organisation wieder einmal voll funktioniert haben", darauf ist auch der alte Mann noch stolz, und  über seine Kriegs-begeisterung hat er nicht mehr zu sagen hat, als daß er in dem Glauben gekämpft hat, es für eine gute Sache zu tun. Kein kritisches Wort über jene, die diesen Glauben mißbraucht haben, kein Infragestellen des eigenen Verhaltens. In den Zeiten der Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre kursierte ein Aufkleber, auf dem stand: "Stell dir vor es ist Krieg, und keiner geht hin." Das funktioniert nicht, wie zuletzt wieder der Krieg im Kosovo gezeigt hat. Bolaritsch macht auf erschreckende Weise deutlich, warum es nicht funktioniert.
Friedrich Bolartitsch starb, bevor er seine Geschichte zu Ende erzählen konnte. Der Entschluß, die Aufzeichnungen des Vaters als Buch im Eigenverlag herauszugeben, war für  seine Tochter eine Verpflichtung, der nachzukommen ihr nicht leicht gefallen ist, denn sie weiß, daß es ein unbequemes Buch ist.  Ihre Entscheidung begründet sie so: "Bücher, die aus der heutigen Sicht (über den Krieg) erzählen gibt es viele, aber kaum einer dieser alten, vorverurteilten Menschen hat sich getraut, etwas über das Erlebte, über dieses heikle, sehr schmerzende Thema zu schreiben..." Bolaritsch hat sich getraut. Das Ergebnis ist ein Buch mit anschaulichen Schilderungen, aber auch mit einer Reihe problematischer Aussagen. Dort, wo sich der Autor auf die "Froschperspektive" beschränkt, finden sich jene Stellen - und es sind ihrer viele, deretwegen es sich lohnt, das Buch zu lesen. Sie sind auch sprachlich weitaus gelungener als jene Stellen, wo der Autor sich anmaßt, über ein Kapitel europäischer Geschichte zu urteilen, das er zwar miterlebt hat, zu dem er allerdings auch nach 40 Jahren nicht jene kritische Distanz gewonnen hat, die Voraussetzung ist für ein historisch fundiertes Urteil.
Die Bücher der beiden Banater schließen, gerade weil sie  so unterschiedlich sind, gleich mehrere Lücken in dem weitgehend immer noch unvollständigen Puzzlebild, das sich die Nachkriegsgeneration über Banater Deutsche während des Zweiten Weltkriegs machen konnte. Wer sich dafür interessiert, liest beide mit Gewinn.

Friedrich Bolaritsch: Wege des Schicksals - kann bestellt werden bei Elfriede Wild, Im Hasenbogen 5, 77656 Offenburg, Tel.0781 / 57736, Preis (inkl.Versandkosten) 25 DM
Robert Schiff: Feldpost. Chronik eines ungebauten Hauses - erschienen im Verlag des Südostdeutschen Kulturwerks, ist zu beziehen über HEROLD Druck- und Verlags-GmbH, Kolpingring 4, 82041 Oberhaching, Preis 33 DM + Versandkosten oder im Buchhandel unter Angabe der ISBN 3 - 88356 -055 -3
 
 

Erinnerungen an Tage im August 1944

Weil wir kein Auto zur Verfügung hatten, marschierten wir per pedes nach Sekul. Alle, die am Bunten Abend "Viel Lärm um Rosl" beteiligt waren, machten begeistert mit. Jeder von uns bekam etwas zu tragen. So wurden Garderobe, Dekoration, Vorhänge, Instrumente, Beleuchtung und sogar der Gong auf 45 Rücken zur Vorstellung transportiert. Wir marschierten durch das Dorf und sangen zur Begrüßung "Reschitz, ist ein schönes Städtchen". Fenster und Türen öffneten sich, und schon hatten wir unseren ersten Applaus.
Der Wirtshaussaal war bumsvoll, und es ging bald los. Zuschauer und Darsteller freuten sich über den Erfolg. Anschließend sangen sie gemeinsam das altbekannte "In Doman, Reschitz und Sekul". Bei einem guten Tropfen wurde es oft wiederholt, fiel doch immer wieder jemandem eine neue Strophe ein. Unter sternklarem Himmel verabschiedeten wir uns, und auf Schusters Rappen ging es heimwärts.
Als wir nach Mitternacht in Reschitz ankamen, hörten wir die Neuigkeit: Rumänien hatte kapituliert und sich auf die Seite der Russen geschlagen. Wir hatten am 22.August 1944 in Sekul unsere letzte KdF-Vorstellung  gegeben.
aus "So waren wir die Reschitzer" von Franz Kehr
(KdF = Kraft durch Freude, die der Volksgruppe unterstellte Kulturgruppe)

"Wege des Schicksals" von Friedrich Bolaritsch - Leseprobe
Auf unserem Stützpunkt (in Griechenland) waren wir wie abgeschnitten vom Weltgeschehen, so daß wir erst nachträglich von einem Ereignis erfuhren, das ein Drittel unserer Kompanie direkt betraf.
Am 23. August 1944 hatte der rumänische König seinen Truppen den Befehl erteilt, die Kriegsoperationen gegen die Sowjets sofort einzustellen und sich für den Kampf gegen die Deutschen bereitzuhalten. Am 25.August erklärte Rumänien Deutschland den Krieg, und die rumänischen Truppen begannen sofort Kampfhandlungen gegen ihre ehemaligen Verbündeten. Als wir von diesen politischen Ereignissen erfuhren, waren wir alle sehr betroffen, besonders wir Volksdeutsche aus Rumänien sehr betrübt und besorgt.
Der Verrat Rumäniens hatte schlimme Folgen für Deutschland. An der Ostfront war sozusagen über Nacht eine riesige Lücke entstanden, und die russischen Divisionen strömten, ohne auf Widerstand zu stoßen, nach Westen. Die rumänischen Truppen kämpften nun an der Seite der Sowjets gegen ihre ehemaligen Waffenbrüder. Ich erlaube mir noch zu bemerken, daß den rumänischen Soldaten keine Schuld traf, denn die Pflicht jedes Soldaten ist zu gehorchen und zu seinem Eid zu stehen.
Die neu entstandene Lage war sehr kritisch. Von der obersten Heeresleitung kam der Befehl zum allgemeinen Rückzug aus Griechenland....
Am 26. oder 27.August (genau kann ich das jetzt nicht mehr sagen) verließen wir den Bahnhof von Larisa. Einige unserer Kameraden blieben für immer da, auf dem großen Soldatenfriedhof in Larisa. Es waren die Kameraden, die guten Glaubens gekämpft und dafür ihr junges Leben gelassen hatten.
Wir fahren im Schneckentempo auf der gleichen Strecke, auf der wir vor einem Jahr in umgekehrter Richtung nach Griechenland gekommen sind.... Jetzt sind wir schon alte Soldaten, die öfter Pulver gerochen haben, so daß wir nicht mehr so leicht aus der Ruhe zu bringen sind. Der Umstand aber, daß unsere Lieben in der Heimat den roten Horden ausgeliefert sind, erfüllt uns mit Sorge und unsere Gefühle gegenüber den Verrätern sind Verachtung und Haß.... Unsere Kameraden aus der Batschka teilen unsere Sorgen bezüglich der Daheimgebliebenen; viele von ihnen haben schon Familienangehörige durch den Terror der Partisanen verloren. Derjenige, der meine Zeilen lesen wird, kann bestimmt nur wenig von all dem damals Stattgefundenen begreifen und mitfühlen....
Wir verlassen Griechenland und nähern uns einem wichtigen Punkt in Südjugoslawien, der Stadt Skopje. Diese liegt in einem Talkessel, umgeben von hohem Gebirge. Am Bahnhof herrscht reger Verkehr. ...es dauert keine halbe Stunde, da beginnen die Alarmsirenen am Bahnhof und in der Stadt zu heulen. Alles rennt in Deckung, besser gesagt, die Kameraden, die in den Mannschaftswaggons sitzen. Wir bleiben auf unserem LKW bei unserem Maschinengewehr, die Bedienungsmannschaft der Flakgeschütze ebenso. Aus der Ferne hört man das Dröhnen der sich nähernden Flugzeuge und auf den Höhen rings um die Stadt beginnt die schwere Flak zu schießen. Am Himmel in großen Höhe sieht man die feindlichen Flugzeuge; es sind russische zweimotorige Bomber, genau können wir sie nicht zählen, aber es müssen so an die zehn bis zwölf Stück sein. In der Umgebung der Stadt und rings um den Bahnhof fallen die Bomben. Es ist ein höllischer Lärm, und die Splitter der in unserer Nähe einschlagenden Bomben sausen uns um die Ohren. In einigen Minuten scheint alles vorbei zu sein; zwei Flugzeuge sind abgeschossen worden, und wir wollten gerade aufatmen, da erschallt der Ruf: "Tiefflieger von vorn!" Drei Flugzeuge brausen über uns dahin und die Einschläge ihrer Bordwaffen spritzen um uns herum. Unsere Vierlingsflak hat aus allen Rohren geschossen. Nach ein bis zwei Minuten sind die Flugzeuge wieder über uns, aber diesmal sind wir schon gewarnt und schießen los, was das Zeug hält. Ein Flugzeug wird getroffen und stürzt ab, die anderen kommen kein drittes Mal mehr. Am Bahnhof steigen riesige Rauchwolken auf; es riecht nach Schwefel, Rauch und Brand.
Einer unseres Waggons, mit Fahrzeugen beladen, war zerstört und in Brand geraten. Das Feuer konnte aber gelöscht werden, noch bevor die Munition, die sich darauf befand, explodierte. Einige Fahrzeuge hatten Einschüsse, aber was noch schlimmer war, ein Kamerad wurde getötet und drei verwundet. Wer den Tiefflieger abgeschossen hatte, war nicht klar, und außerdem hatten wir andere Sorgen.Die größte war die, unseren Transportzug so rasch wie möglich wieder fahrbereit zu machen. Disziplin und Organisation haben wieder einmal voll funktioniert. Unseren toten Kamerdaden übernahm der Orndungsdienst der Bahnhofswache, und der halbverbrannte Waggon mit den beschädigten Fahrzeugen wurde abgehängt, nachdem alles Brauchbare umgeladen worden war.
Nach etwa drei Stunden Unterbrechung ging unsere Fahrt in Richtung Belgrad weiter. Dieser von mir beschriebene Luftangriff war der erste, den ich erlebt habe und er blieb mir gut in Erinnerung. In den darauffolgenden Wochen wurden wir mit noch viel schlimmeren Sachen konfrontiert. Wir haben uns an all das gewöhnt, denn jeder Mensch ist so geschaffen, daß er sich an Gefahr, Not und auch Elend gewöhnen kann.
aus "Wege des Schicksals" von Friedrich Bolaritsch, mit freundlicher Genehmigung der Herausgeberin



Feldpost. Chronik eines ungebauten Hauses - Leseprobe


Zunächst einmal herrscht große Unruhe und Verwirrung im Land. Und wenn ein Teil der Bevölkerung das Ereignis als Befreiung begrüßt, so sehen wir Deutsche unsere engere Heimat über Nacht in ein feindliches Land versetzt. In dem befinden sich unsere Truppen auf dem Rückzug vor den nachdrängenden Russen und fordern die Leute auf, sich ihnen anzuschließen. Heim ins Reich, heißt es jetzt auch für uns. Jetzt wäre die Gelegenheit da, ins Reich zu kommen. Das scheint indes gar nicht mehr so verlockend zu sein. Dennoch machen sich viele auf den Weg dorthin, viele bleiben. Für sie war das Reich sowieso nur ein Wort gewesen. Die, welche bleiben, machen sich ans Umdenken und hoffen auf mildernde Umstände. Nach einer Katastrophe geht das Umdenken so schnell wie das Umlegen einer Weichenstellung, und man sieht sich auf einmal einer veränderten Landschaft zutreiben. Aber die Landschaft ist dieselbe wie bisher; nur unser Blick hat sich geändert. Immerhin können wir es uns jetzt vorstellen, wie es ist, wenn feindliche Truppen das Land überfallen und ausplündern. Daß wir keine andere Wahl hatten als mitzumachen, war nur ein schwacher Trost, doch ließ er uns hoffen. Vielleicht würde man uns sogar glauben, daß wir viel lieber ein Haus gebaut hätten, wenn wir die Wahl gehabt hätten. Wie auch immer, wir mußten auf eine Abrechnung gefaßt sein. Wenn wir gut hinhören, dann können wir von jenseits der Stadt schon ein leises Grollen hören.
Die Leute in der Banatulgasse gehörten durchwegs zu jenen, die geblieben waren. Sie durchsuchten jetzt fieberhaft ihre Häuser nach Dingen, die ihnen gefährlich werden könnten. Wir freuen uns, daß wir die vielen Signal-Hefte los sind. Da hatte Vater wieder einmal eine gute Nase gehabt. Die zwei-drei Exemplare, die seitdem gekommen sind, gelangen in den Ofen, zusammen mit der Hakenkreuzfahne. Die Blau-gelb-rote bleibt, zusammengerollt, in der Speis unter der Leiter. Die werden wir noch brauchen. Noch nie war im August in dieser Gegend so viel geheizt worden: Überall steigt dicker Qualm aus den Rauchfängen. Auch meine Aare fallen der Vernichtung anheim. Vater bringt sie eigenhändig in die Grube und schüttet einen Eimer Wasser darüber und haut sie mit dem Spaten in Stücke. Da kann ich zusehen, wie sie sich auflösen und wieder zu dem werden, was sie einmal waren: Zu einem Batzen Lehm. Dreck heißt das bei uns. Mir rinnt es salzig zu den Mundwinkeln: Die viele Arbeit, alles für die Katz'. Auch die Fotos meiner Brüder, auf denen sie in SS-Unform zu sehen sind, müssen runter von der Wand und kommen, zusammen mit den Feldpostbriefen in ein Versteck im Zwischenboden. Nur Cousin Peterke darf allein an der Wand hängen bleiben, weil er ja rumänische Uniform anhat. Wer waaß, vielleicht kann uns tes sogar noch etwas nutzen, meint Vater.
Auch Hansi und Mekke finde ich mit Ähnlichem beschäftigt. Sie tun gerade ihre DJ-Uniformen in eine mit Wachsleinwand ausgeschlagene Kiste. Eine Handvoll WHW-Anhängsel kommt noch dazu und zuoberst, sorgfältig eingeschlagen in die Hakenlkreuzfahne, ein Buch: Mein Kampf. Zum Schluß wird die Kiste zugenagelt; dann gehen wir alle drei in den Garten und graben ein ziemlich tiefes Loch neben der wilden Rebe, ganz hinten. W-wenn die Gefahr vorüba is, dann g-grab ma sie wieder aus, meint Hansi zuversichtlich. Dennoch stehen wir dann noch eine ganze Weile mit dem Gefühl herum, daß wir soeben einer Beerdigung beigewohnt hatten. Einem Begräbnis, nach dem es keine Auferstehung mehr geben wird.
aus "Feldpost. Chronik eines ungebauten Hauses" von Robert Schiff, mit freundlicher Genehmigung des Südostdeutschen Kulturwerks

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