Viktor Stürmer
Graphiker und Maler
von Gerda Stürmer-Bares
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Wenn ich versuche,
mir das Erscheinungsbild meines Vaters, des Künstlers Viktor Stürmer,
in Erinnerung zu rufen, so gelingt mir dieses immer sehr gut hinsichtlich
einzelner wohl bekannter Merkmale: feingliedrige, kraftvolle Hände,
welche schnell und sicher über das Papier huschen oder sich vorsichtig
vorantasten, Zeichen des Alters auf dem Handrücken, ergraute Schläfen,
die Form der Augenbrauen, die Wimpern. Was jedoch nie gelingt, ist den
Blick und die Sprache des Verstorbenen einzufangen. Dieses scheint die
Mauer zu sein, welche die Toten, vielleicht zu unserem Schutz, zwischen
uns Lebenden und ihrer Welt aufrichten.
Viktor Stürmer jedoch
hat im Laufe seines Lebens so viele Blicke in seinen Bildern eingefangen,
dass diese in ihrer Gesamtheit für immer eine Brücke zwischen
ihm und der Nachwelt bilden und uns die Möglichkeit geben, ihn auch
nach seinem Tode zu verehren. |
Viktor Stürmer hat in seiner
Geburtsstadt Karansebesch eine behütete Kindheit und Jugend in einer
intakten Familie erlebt. Schon früh zeigte sich seine Begeisterung
für das Zeichnen und für Bücher. Durch seinen Vater, der
Kirchenmaler war, hatte er schon in dieser frühen Zeit Kontakt zur
bildhaften Kunst. Der Umzug der Familie nach Temeschburg erlaubte ihm nach
Beendigung des Gymnasiums eine höhere Schulbildung. Erste Versuche
eines Rechtsstudiums schienen nicht die notwendige Befriedigung zu bringen,
so dass er zunächst die Kunstakademie in Temeschburg besuchte, wo
er seine spätere Frau Leni kennen lernte. Mit Hilfe eines Stipendiums
konnte er zusammen mit seinem Bruder Julius den Wunsch in die Tat umsetzen,
die Kunstakademie in Berlin zu besuchen. Trotz entbehrungsreicher, aber
glücklicher Jahre in Berlin schloss er das Studium bravourös
ab und unterrichtete anschließend als begnadeter Pädagoge an
der Banatia in Temeschburg. Diese glückliche Zeit, in welcher er auch
in der Jugenderziehung als stellvertretender Anstaltsleiter tätig
war, wurde durch die Kriegswirren jäh unterbrochen, die er an der
Ostfront erleben musste. Seine Verhaftung im Jahre 1947 in Kronstadt, wohin
er sich mit seiner Familie aus Sicherheitsgründen zurückgezogen
hatte, war der Beginn eines achtjährigen Leidensweges in russischer
Gefangenschaft unter schwersten Bedingungen.
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Es
war eine Gnade des Schicksals, dass Viktor Stürmer diese sehr stark
prägende Zeit in den Straflagern der Stalin-Ära, die ihn bis
zuletzt verfolgte und an deren Spätfolgen er auch viel zu früh
starb, kurz vor seinem Tode noch in seinem Buch “X895 - Im Straflager zwischen
Eismeer und Baikalsee“ in Wort und Bild verarbeiten konnte. Der Künstler
erklärte sein Bedürfnis die Schrecken des Erlebten festzuhalten
mit den Worten: „Die damaligen Geschehnisse bewegen mein Bewußtsein
noch immer dermaßen, dass ich oft das Gefühl habe, dies alles
sei gestern erst geschehen“ und nannte ohne Umschweife sein Anliegen: “Ich
empfinde die Herausgabe meiner Aufzeichnungen als eine Pflicht sowohl gegenüber
meinen zahllosen Leidensgenossen wie gegenüber kommenden Generationen,
denn erst das Wissen um unsere Vergangenheit und um die historische Wahrheit
kann zur Bewältigung der Probleme führen, die uns heute gestellt
sind.“ |
Trotz dieser Jahre der schweren
Entbehrungen hat Viktor Stürmer, der es immer schon verstand als Erzähler
den Kreis seiner Zuhörer in Bann zu schlagen, meist die minder schrecklichen
Seiten dieser Zeit aufgegriffen und geschildert. Er blieb eine optimistische,
humorvolle und immer aufrichtige Persönlichkeit, die sich nicht zerstören
ließ.
Als er im Jahre 1955 aus
der Gefangenschaft nach Kronstadt zurückkehrte, stand er vor dem beruflichen
Nichts. Er begann als Buchillustrator für verschiedene Verlage in
Bukarest zu arbeiten und fand Anerkennung als Bühnenbildner am Theater
in Kronstadt sowie mit Kunstausstellungen als Mitglied des Künstlerverbandes.
Aus dieser Zeit stammen einige Arbeiten der ersten Zyklen sowie sehr viele
Aquarelle und Zeichnungen seiner Heimat Rumänien, deren ursprüngliche
Natur er sehr geliebt hat. Da er sich jedoch politisch weiterhin verfolgt
fühlte, versuchte er mit seiner Familie die Ausreisegenehmigung nach
Deutschland zu erhalten, was schließlich im Jahre 1970 auch gelang.
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Hier,
in Deutschland, begann eine neue Phase seines Lebens, welche wiederum einen
beruflichen Anfang forderte. Als Pädagoge wurde er nicht, wie von
ihm gewünscht, in den Staatsdienst aufgenommen, erhielt jedoch eine
bescheidene Rente, so dass er sich ganz dem künstlerischen Schaffen
widmen konnte. Seine Einzelausstellungen in der Salzburger Residenz, im
Haus der Donauschwaben in Sindelfingen, im Zunfthaus in Kempten, im Rathaus
Freilassing, im Gablonzer Haus in Neugablonz zeugen davon. In Freilassing
und später in Undorf bei Regensburg fand er zudem vielfache Anerkennung
in der Erwachsenenbildung in Kursen, welche er mit großer Intensität
betrieb. Als Vermittler von bildender Kunst, Zeichnen, Malen, Anatomie
wurde er von seinen Schülern, seien es die Erwachsenen oder, zu Beginn
seiner Laufbahn, die Jugendlichen, immer anerkannt und verehrt, da er mit
seiner charismatischen Persönlichkeit und seinem Können stets
zu fesseln verstand. Auch verbanden ihn mit vielen seiner Schüler
aus der Banatia sowie aus Deutschland Freundschaften, welche bis zum Ende
seines Lebens andauerten. |
Viktor Stürmer verstarb
im Alter von 76 Jahren in Ebermannstadt nach einer schweren Krankheit,
welche die Folge eines im Lager oberflächlich kurierten Leidens war
und liegt heute auf dem Friedhof in Hirschaid bei Bamberg begraben.
Sein Leben war gekennzeichnet
vom Wandel, den er immer angenommen und als willkommene Herausforderung
angesehen hat. Diese geistige und körperliche Beweglichkeit war auch
noch im Alter ein Kennzeichen seines Wesens. Trotz allen örtlichen
Veränderungen blieb er zeit seines Lebens seinen Landsleuten aus dem
rumänischen Banat und aus dem Banater Bergland treu. Ein Dokument
seiner Heimatverbundenheit sind außer seinen ungezählten Bildern
aus Rumänien auch “Die Donauschwäbische Passion“, welche den
Leidensweg der deutschen Bevölkerung aus dem Banat in packenden Szenen
illustriert. Auch erhielt er in Anerkennung und Würdigung seiner Verdienste
um die Erhaltung und Förderung des donauschwäbischen Kulturgutes
im Jahre 1983 den Donauschwäbischen Kulturpreis.
Das künstlerische Werk
Viktor Stürmers zeigt in allen Bereichen ein hohes graphisches und
handwerkliches Können. Meisterhaft in der Zeichnung und sehr sicher
in der Komposition reicht der Stil der Arbeiten Viktor Stürmers von
der flüchtigen Zeichnung über farbige Arbeiten in Mischtechnik
bis hin zu akribisch mit Tusche und Pinsel ausgearbeiteten Graphiken.
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Zu
seinen aus dem Leben gegriffenen oder geschichtlich interpretierenden Werken
wie “Der Krieg“ und den Natur- und Architekturlandschaften aus seiner alten
und neuen Heimat kommt vor allem sein grundlegend philosophisch angelegtes
Werk hinzu, in welchem er Abgründe des menschlichen Wesens und des
Lebens in der menschlichen Gesellschaft aufgreift.
Es sind erschreckende Bilder
eines Künstlers, der erleben musste, wozu der Mensch fähig ist.
In äußerst expressiver Weise stellt Viktor Stürmer Fragen,
auf die er, wie er selber sagte, keine Antworten weiß. Die sehr dicht
aus verschiedenen Elementen komponierten Bilder bieten jedoch immer noch
Freiraum für die eigene Interpretation durch den Betrachter. Diese
Arbeiten hat er in den Zyklen “Apokalypse“, “Panoptikum“, “Das Lager“,
“Die Temperamente“ zusammengefasst.
Die Persönlichkeit
des Künstlers Viktor Stürmers wurde vom Bürgermeister der
Gemeinde Nittendorf/Undorf in einem Nachruf in sehr treffender Weise erfasst: |
“Zeit seines Lebens hat er voller
Hingabe die Vervollkommnung seiner schöpferischen Begabung angestrebt.
Dank seiner Schaffenskraft und ausgeprägten Persönlichkeit war
er für uns alle eine Bereicherung.
Wir alle, die wir Viktor
Stürmer als hervorragenden Menschen zum guten Freund und Vorbild haben
durften, gedenken eines hervorragenden Mitbürgers, der mit seiner
Kunst und seiner Begabung Bewunderung hervorrief. Wir verlieren einen Freund,
dessen Persönlichkeit, getragen von einer geradlinigen Aufrichtigkeit,
uns menschlich beeindruckt hat, dessen Schaffenskraft und dessen künstlerische
Werke uns alle bereichert haben.“ |