Folge 99, Julii-August 2001

Als Urlauber zweiter Klasse am Schwarzen Meer
von Marius Barbu

Der wunderbare Urlaub auf der kanarischen Insel Teneriffa und die warmen Sommertage wecken Erinnerungen an die Urlaube in Rumänien. Sie sind heute längst Vergangenheit. Doch ich erinnere mich noch gerne an jene wenigen Wochen des Jahres, die ich in reizvollen Orten am Fuße der Karpaten, entlang der Donau oder am goldenen Sandstrand der Schwarzmeerküste verbrachte. Wie Erich Segal es sich verbot, einer vergangenen Liebe mit einem "I'm sorry" (Es tut mir leid) nachzutrauern, denke auch ich ohne Wehmut  an jene für immer entschwundene Zeit zurück, war es doch eine Zeit, aus der die Erinnerung neben Bildern von romantischer Schönheit auch heute fast unvorstellbare  Erlebnisse bewahrt hat.

Für viele von uns begannen die Urlaubsvorbereitungen mit einem Gang zur C.A.R. (Casa de ajutor reciproc). Schließlich war eine gut gefüllte Urlaubskasse erste Voraussetzung für einen erlebnisreichen Urlaub an der Schwarzmeerküste. Im C.A.R.-Sitz beim Arbeiterheim  war Herr Chiroiu seit vielen Jahren der "Herr der Kasse", deren Gelder er mit Geschick verwaltete. "Und wo wollt ihr diesmal euer Geld loswerden?" fragte er neugierig. Es war der neue, kürzlich erst fertiggestellte Kurort Venus zwischen Eforie und Mangalia, den wir uns in jenem Jahr als Urlaubsort ausgewählt hatten. 

Als wir ankamen, schien es mir, als wäre ich auf einem der schönsten Fleckchen unserer Erde. Und es war ja wohl auch so. Der Sand - so fein, als wäre er vorher gesiebt worden, das Wasser  - blau und endlos, Hotels - wie wir sie noch nie gesehen hatten. Alles war einzigartig. Vergessen war die lange, ermüdende Bahnfahrt im Abteil zweiter Klasse, vergessen das Gedränge, das Gepäckschleppen. Der Anblick der endlosen Weite des Meeres entschädigte für alle Unannehmlichkeiten der Reise und verhieß einen wunderschönen, einmaligen Urlaub.

In unserer jugendlichen Naivität merkten wir erst nach und nach, daß nicht alle Urlaubsgäste gleich behandelt wurden. Und ich sollte bald verstehen lernen, wie es einem Schwarzen zumute sein mußte, wenn er an einem Gebäude oder einem öffentlichen Verkehrsmittel Tafeln mit der Inschrift sah: "just for white, just for black" (nur für Weiße, nur für Schwarze).

Der Speisesaal des Hotels war zweigeteilt. In der einen Hälfte wurde deutsch, französich, englisch gesprochen, die Gäste konnten zwischen mehreren Speisen wählen und wurden höflich bedient. In der anderen Saalhälfte saßen die Einheimischen vor ihrer Einheitskost. So mancher blickte neidisch auf die Teller der bevorzugten Gäste und machte seinem Unmut in spitzen Bemerkungen Luft. Anderen war ihr Status als Urlauber zweiter Klasse eher peinlich, sie verhielten sich möglichst unauffällig. 

Beim Abendspaziergang kamen wir an einer Diskothek vorbei. Musik war zu hören. Wir wollten hineingehen. Doch der Türsteher verwehrte uns den Zugang. Er sah uns prüfend an und fragte mißtrauisch: "Aveti valuta?" - "Habt ihr Devisen? Hier kommt man nur mit Devisen rein!" - Unsere kurz zuvor noch so fröhliche Stimmung hatte einen kräftigen Dämpfer bekommen. "Just for white..." Nein, wir hatten keine Valuta. Also kamen wir auch nicht rein. Über dem Eingang der Diskothek prangte in Leuchtschrift "Paradis". Doch zu diesem Paradies hatten wir keinen Zutritt. In Abwandlung des Dante-Verses galt hier: "Ihr, die ihr eintreten wollt, laßt jede Hoffnung fahren".  Aber auch wenn man ein paar DM in der Tasche versteckt hatte, war es nicht einfacher. Der Besitz von Devisen war offiziell verboten. Wer welche hatte, war verpflichtet, sie innerhalb von drei Tagen abzugeben, andernfalls verstieß er gegen das Gesetz und machte sich eines strafbaren Vergehens schuldig.

Die einzige, die keinen Unterschied zwischen den Urlaubern machte, war die Sonne. Ganz gleich aus welchem Land man kam, ob man Valuta hatte oder nicht, sie schien für alle gleichermaßen, wärmte für alle das Badewasser  und bräunte die Haut aller.

Sonnenbaden aber macht durstig. Und spätestens wenn man den Durst löschen wollte, wurde man wieder daran erinnert: "Just for white..." Die Ausländer bekamen  ausländisches Bier in Flaschen mit bunten Etiketten, auf denen wir die Markennamen berühmter Bierhersteller lesen konnten. Wie gerne hätten wir uns so etwas mal geleistet. Doch für unsereiner gab es nur einheimisches Gebräu. Die Kinder der Ausländer tranken Coca-Cola und Pepsi-Cola aus Flaschen mit der bekannten Aufschrift, unsere Kinder bekamen das gleiche Getränk bestenfalls getarnt in Kaffeetassen, und auch das nur, wenn die Eltern die nötigen "Beziehungen" zum Verkäufer hatten.

Kein Zutritt zum "Paradis". Und doch waren wir im Paradies, wenn wir spätabends an der Küste entlang spazierten zwischen "Olimp" und "Neptun". Das Rauschen des Meeres. Tanzende Lichtpünktchen auf dem Wasser. Über uns der mit funkelnden Sternen übersäte Nachthimmel. Romantik pur. Bis eine Stimme den Zauber zerstörte: "Stehenbleiben, zurück! Es ist verboten, hier spazieren zu gehen." Aus dem Dunkel löste sich ein Soldat mit geschultertem Gewehr. Verständnislos fragte ich: "Warum?"  "Keine Fragen!" entgegnete er barsch, fügte aber nach einer kurzen Pause leiser und etwas freundlicher hinzu: "Wissen Sie nicht, daß dies hier Ceausescus Residenz ist?"

Als der Urlaub zu Ende war, fiel uns der Abschied von "Venus" nicht schwer. Mit dem letzten C.A.R.-Geld kauften wir uns in Reschitz die Buskarten, um vom Bahnhof bis zur Haltestelle an der Betonschule zu fahren. 

Im darauffolgenden Jahr haben wir  uns wieder Geld von der C.A.R  geholt, aber diesmal fuhren wir damit nach Franzdorf. Dort waren die Preise zivil und die Urlaubergesellschaft klassenlos. Und unser Urlaubsparadies am Stausee war allen zugänglich.                    

 

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