Folge 96, Januar-Februar 2001

Die Heimat im Herzen 
Gerda Jendl

Angeregt durch den Beitrag "Weihnachten in Reschitz" sind in mir viele Kindheitserinnerungen an meine Heimatstadt Reschitz wieder wach geworden.

Ich habe schon als 9jährige gemeinsam mit meiner Mutter, meinem Bruder und meinen Großeltern im Septemebr 1944 meine Heimat verlassen müssen.

Wenn ich heute zurückdenke, wie oft in meiner Jugendzeit und auch später, als ich schon berufstätig war, meine Gedanken zurück in meine Heimatstadt wanderten und im Hintergrund immer der Wunsch war "einmal fährst du wieder dorthin", so war es für mich selbstverständlich, 20 Jahre später, 1964, zu sagen: Jetzt fahre ich hin.

Schriftliche Verbindung hat es ja all die Jahre gegeben, weil die Familie meines Onkels in Reschitz geblieben war. 

1964 hatten wir schon einen Pkw und Ende August fuhr ich mit meiner Mutter los. Die Route ging über Belgrad, es gab keine Schwierigkeiten an der Grenze. Als wir über die Grenze kamen, warteten schon meine beiden Vettern Walter und Hans bei Morawitz auf uns. 20 Jahre waren vergangen, wir waren Kinder, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten, jetzt waren wir erwachsen - und doch so vertraut.

Wir fuhren weiter über Gataia, dem Heimatort meiner Mutter, Richtung Reschitz. Ich war so voll Erwartung, daß ich die Landschaft viel zu wenig beachtete. 

Reschitz hatte sich in den letzten 20 Jahren wenig verändert, so vieles sah noch genau so aus wie in meiner Erinnerung. Bis zur großen Wiese am Driglovetz konnte ich fahren, dann ging's zu Fuß weiter. Am liebsten wäre ich den steilen Hang hinaufgelaufen, doch hinter mir hörte ich öfter: "Nicht so schnell !" 

Das letzte Stück des Weges bis zum Haus meines Onkels lief ich aber dann doch. Ich stürmte in die Küche, umarmte meine Rosl-Tante. Doch wo war mein Onkel?

Ich lief weiter den Berg hinauf bis zum Stall, und da stand mein Onkel mittendrin auf eine Mistgabel gestützt. Er lächelte und sagte leise: "Madl, da bist wieder." 

Wir fanden nach zwei Jahrzehnten noch das alte Reschitz: unser Stadthaus stand noch, da war jetzt die Musikschule drin, das Gemeindehaus, in dem mein Vater die letzten Jahre vor Kriegende als Bürgermeister amtierte, die Steinschule, wo ich die erste Volksschulklasse besuchte, und viele alte Bekannte meiner Mutter lebten noch.

Diese zwölf Tage in Reschitz und Umgebung waren für mich ein ganz besonderes Erlebnis. In den Jahren danach kam ich noch öfters mit meiner Familie in meine Geburtsstadt, jedoch von einem zum anderen Mal schien mir die Stadt veränderter und fremder zu werden.

Nur noch einmal, es war ein Jahr später, 1965, fuhr ich mit meiner Großmutter auf die Heide in eine deutsch-schwäbische Gemeinde, und dort fand ich auch dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Geborgenheit, einfach ein Heimatgefühl, obwohl ich in dieser Gemeinde vorher niemals gewesen bin.

In einem deutschen Sender habe ich einen Satz gehört, der dem Sinn nach lautet: Man kann aus der Heimat vertrieben werden, aber tief drin im Herzen kann man die Heimat niemals verlieren. 

 

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