Folge 96, Januar-Februar 2001

Wer kennt die Toten und wo sind ihre Gräber?
56.Jahrestag der Deportation in die Sowjetunion
von Hans Wania

Nur wenige Monate vor Kriegsende erreichte das brutale Krigsgeschehen das Banater Bergland. Im Januar 1945 wurden alle als "arbeitsfähig" eingestuften Deutschen "ausgehoben" und in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit deportiert, ein großer Teil von ihnen bis an den Rand Sibiriens, in den Ural. 

Unvergessen bleiben für mich und wahrscheinlich für alle Zeitzeugen die Bilder jener kalten Wintertage, als man unsere Angehörigen, Nachbarn und Freunde aus unserer Mitte riß und in die für den Abtransport am Bahnhof bereitgestellten Viehwaggons pferchte. Darunter die halbe Schulklasse meines Bruders, alle  minderjährig wie er, darunter mein Cousin, welcher als Soldat der Rumänischen Armee in der Kaserne in Reschitz diente und dem man die Uniform auszog, obwohl Rumänien damals bereits an der Seite der Sowjets gegen Hitlerdeutschland kämpfte. Unter den Deportierten war auch ein anderer Cousin und seine Ehefrau, die man ohne Rücksicht auf ihre drei  kleinen Kinder im Alter von vier, drei bzw. einem Jahr mitnahm, während die Kleinen in der Obhut ihrer Großmutter zurückblieben. Ebenfalls dabei war der Cousin meiner Mutter, dessen damals erst einige Monate alte Tochter ihren Vater niemals kennengelernt hat. Deportiert wurden auch meine Freunde Heini Rausch, Jani Pankratz, Heinzi Kunst, Geza Loidl, unsere Nachbarn Franzi Hoffmann, Jakob Wesselak, Immi Schreiber, Anti Klumpfner und...und... und....

Unbekannt sind bis heute die Namen und die Zahl aller Deportierten. Viele kamen nicht mehr wieder, und viele jener, die zurückkamen, erreichten gerade noch rechtzeitig die Heimat, um auf unserem Friedhof, "dem Hetschelberg", ein menschenwürdiges Begräbnis zu bekommen. 

Das Sterben hatte schon während der wochenlangen Hinfahrt durch die eisigen Weiten der Sowjetunion begonnen. Die ersten Toten - unter ihnen auch unser Nachbar Loidl, Gezas Vater, aus der Franz-Josef-Gasse - wurden einfach neben den Bahngeleisen abgelegt. Ungezählt blieben bis heute die während der fünfjährigen Zwangsarbeit Verstorbenen. Vor allen Minderjährige und Alte wurden Opfer der harten Lebens-, Arbeits- und Kilmabedingungen im sibirischen Winter. Eine Todesmitteilung an die Angehörigen erfolgte amtlicherseits nicht. Namen wurden nicht amtlich bekanntgegeben. Vor kurzem erfuhr ich vom Sohn eines aus Berezowska Heimgekehrten, daß sein Vater dort eine Liste der verstorbenen Landsleute geführt hat, welche über 300 Namen enthielt. Diese Liste wurde bei der Heimreise von den sowjetischen Grenzkontrollen nicht zurückbehalten, von den an der rumänischen Grenze tätigen, damals neu in Erscheinung tretenden Securitate-Leuten jedoch beschlagnahmt. Aus der Erinnerung versuchte sein Vater später diese Liste zu rekonstruieren, brachte aber nur noch 80 Namen zu Papier. Es gibt bis heute keine vollständige Liste unserer Toten.   

Das Sterbern und die Gräber der Opfer waren ebenso von Unmenschlichkeit geprägt wie das Leben der Zwangsarbeiter. Die Leichen wurden am Ortsrand verscharrt, die Grabhügel noch vor der Abreise der Deportierten eingeebnet.

Die Heimkehr war für einen Teil der Deportierten nicht minder tragisch. In den Jahren 1946 - 1947 wurden Kranke, Entkräftete und Arbeitsunfähige nicht mehr nach Rumänien zurückgeführt, sondern in die damalige sowjetische Besatzungszone Deutschlands abgeschoben, obwohl alle unsere Landsleute heim wollten zu ihren Familien. Da es sich bei diesen Menschen um potentielle Todeskandidaten handelte, starben viele von ihnen und fanden so irgendwo in Ostdeutschland ihre letzte Ruhe. Unentwegte, unter ihnen auch mein Vater, versuchten durch eigenes Bemühen aus der Sowjetzone nach Rumänien zurück zu ihren Familien zu kommen, ungeachtet der zahlreichen Grenzen, die es zu überwinden galt. Auch unter diese Rückkehrern gab es Opfer. Es waren die durch Schüsse der Grenzbeamten zu Tode Gekommenen, welche irgendwo in Europa begraben sind. Keiner weiß, wo und wie viele es sind. Besonders tragisch ist der Fall eines Leidensgenossen meines Vaters aus Reschitz. Er wurde wie mein Vater nach Überschreiten der rumänischen Grenze verhaftet und in der Festung von Oradea inhaftiert. Er starb in diesem Gefängnis, nahe der Heimat, doch ohne sie wiedergesehen zu haben. 

Die Deportation im Januar 1945 war eine Maßnahme, welche nur Deutsche betraf, ohne Unterschied ihrer politischen Einstellung. Neben überzeugten Nazis gab es unter den Deportierten auch während des Krieges aktive Antifaschisten. Die Masse war eher unpolitisch.

Deportation und Zwangsarbeit von Deutschen infolge des Zweiten Weltkrieges ist ein im Westen kaum bekanntes Kapitel deutscher Geschichte, da nur die von der Roten Armee befreiten Gebiete davon betroffen waren, und diese liegen im Osten. Der Anschlag auf das Vertriebenenmahnmal in Freising (Bayern) vor dessen Einweihung im Oktober letzten Jahres ist ein beschämender und trauriger Beweis dafür. 

Gedenkmesse in München

Auch heuer hatten unsere Verbandsmitglieder und Landsleute im Raum München die Möglichkeit der Deportation der Deutschen aus Rumänien in die Arbeitslager der Sowjetunion zu gedenken. Wie alljährlich fand in der St. Peterskirche - seit Abschluß der Restaurationsarbeiten im Juni 2000 wieder die schönste Kirche Münchens - eine stille hl. Messe zum Gedenken an die Opfer statt. Vereint im Gebet und in der Erinnerung an unsere Angehörigen und Freunde, welche der Zwangsverschleppung zum Opfer fielen, bekundeten die Teilnehmer, daß die Toten nicht von allen vergessen sind.

 

Home Inhalt zurueck weiter